Wednesday, 27 June 2007
Guter Hintergrundartikel zu Agrotreibstoffen (FOCUS online)
Im folgenden gebe ich einen sehr guten Hintergrundartikel wieder, der mir heute in die Inbox geflattert ist. Die Quelle ist FOCUS online, genauer http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/klima
Meine einzige Kritik am Artikel ist, dass der Autor immer noch von "Bio"kraftstoffen spricht, wo es doch nachgerade anti-Bio, also gegen das Leben gerichtete Kraftstoffe sind, mit denen wir es zu tun haben. Es wäre viel besser, den Ausdruck "Agrotreibstoffe" zu verwenden, der die Verbindung zur Agrikultur/Landwirtschaft noch enthält, aber auch darauf hinweist, dass riesige Geschäftsinteressen, das sogenannte Agribusiness, dahinter stecken. Selber nenne ich diese Geschäftemacherei gerne "Aggrobusiness", weil sie so extrem aggressiv auftreten.
Doch hier nun der Artikel:
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Biokraftstoffe
Tödlicher Sprit
Mafiöse Banden, abgeholzte Regenwälder und Hungersnöte - die Produktion des Bioethanol, das in Zukunft Autos antreiben wird, hat viele dunkle Seiten.
Von Michael Odenwald
Innocence Dias starb einen grausamen Tod. Die Mörder schnitten ihm die Kehle durch, und er hatte sieben Messerstiche im Körper. Sein Fehler war, dass er sein Land nicht an eine Gruppe von Paramilitärs verkaufen wollte, die eines Tages in seinem Dorf Llano Rico im kolumbianischen Departement Antioquia auftauchte. Nach dem Mord gab Dias' Familie auf und floh. Heute wachsen auf dem Land der Vertriebenen Ölpalmen der Biokraftstoff-Firma Urapalma, mit der die Paramilitärs zusammengearbeitet haben. "Dias starb, weil die Welt ökologisiert wird", kommentierte die britische "Sunday Times", die Anfang Juni ausführlich über das Verbrechen und seine Hintergründe berichtete.
Flüchtlinge im eigenen Land
Verbrechen wie dieses haben in Kolumbien System. Dahinter stecken Großgrundbesitzer und eben die Biokraftstoff-Hersteller. Sie kaufen jedes verfügbare Land, um darauf Ölpalmen anzubauen. Vor vier Jahren nahmen Ölpalmenplantagen in dem südamerikanischen Land 172 000 Hektar ein, bis Ende 2007 werden sie sich nach Regierungsangaben auf 400 000 Hektar ausgedehnt haben. Angeheizt wird der Boom durch den riesigen Bedarf an Biokraftstoffen in den USA und Europa. Den Lieferanten winken riesige Profite. Für die Kleinbauern hat er jedoch verheerende Folgen. Zehntausende wurden wie die Familie Dias von ihrem Besitz vertrieben und zu Flüchtlingen im eigenen Land.
Die dunkle Seite der Zukunftsenergie
Damit wird die dunkle Seite einer Technologie sichtbar, die doch eigentlich eine helle Energiezukunft verspricht.
Energiepflanzen wachsen dauerhaft nach, und bei nachhaltigem Anbau sind sie CO2-neutral, denn bei ihrer Verbrennung wird nur so viel von dem Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) frei, wie die Pflanzen vorher aus der Luft aufgenommen haben. Werden fossile Kraftstoffe verbrannt, gelangt hingegen zusätzliches CO2 in die Atmosphäre.
Biokraftstoffe reduzieren zudem die Abhängigkeit vom Öl, das meist aus politisch instabilen Regionen stammt und überdies zunehmend knapp wird. Deshalb setzen die Regierungen der Industriestaaten auf die aus Pflanzen gewonnene Energie. Weltweit schreiben bereits 30 Länder vor, Mineralölprodukte mit Biosprit zu strecken. In Deutschland sind ab 2007 bei Benzin zwei Prozent Beimischung Pflicht, bei Diesel 4,4 Prozent. Bis 2012 will die EU den Bio-Anteil bei allen Kraftstoffen auf 5,75 erhöhen.
Auch die USA schwenken auf den grünen Kurs ein. Der Verbrauch von fossilem Öl, verkündete Präsident George W. Bush im Januar, solle sich in den nächsten zehn Jahren um 20 Prozent reduzieren. Dazu fährt das Land die Produktion vor allem von Bioethanol hoch. Derzeit erzeugen 100 Firmen mehr als 18 Milliarden Liter davon. Dazu nutzen sie 20 Prozent der US-Maisernte, 2008 sollen es schon 25 Prozent sein. Deshalb kommen praktisch im Wochenrhythmus neue Produktionsstätten hinzu. Bis 2030 sollen die Produktionskapazitäten für 227 Milliarden Liter reichen. *)
Der Ausbau der grünen Energie
Das Potenzial an Biomasse ist gewaltig. Theoretisch könnte sie den Weltenergiebedarf je nach Effizienz der Nutzung zehn- bis 20-mal decken. Wie die Umweltorganisation WWF errechnete, ließen sich in den Industrieländern bis 2020 etwa 100 Millionen Haushalte mit Biomasse-Strom versorgen. Ihr CO2-Ausstoß würde dabei um eine Milliarde Tonnen jährlich sinken.
In Deutschland, so ermittelte das Darmstädter Öko-Institut, könnten Pflanzen bis 2030 rund 16 Prozent des Stroms, zehn Prozent der Wärme und 15 Prozent der Kraftstoffe für Autos liefern. Der Ausbau der grünen Energie verspreche zudem 200 000 neue Jobs meist im ländlichen Raum. Bauern, die künftig als Energiewirte firmieren, winken steigende Erlöse. In der Dritten Welt holen die Brennstoffe vom Acker zahllose Farmer zurück ins Geschäft, die auf dem Weltmarkt, der von subventionierten EU- und US-Produkten überschwemmt wird, nicht mehr mithalten konnten, ihre Felder verließen und in städtische Slums flüchteten. "In Afrika kommt wieder Land unter den Pflug, weil die Nachfrage nach Biokraftstoffen wächst", konstatiert Peter Schrum, Präsident des Bundesverbands Biogene Kraftstoffe (BBK). "Zugleich werden Lebensmittel produziert. Dies ist die effektivste Entwicklungshilfe."
Soja aus Südamerika, Mais aus Weißrussland
Heute tanken deutsche Fahrzeuge vier Millionen Tonnen Rapsdiesel. Das sind 14 Prozent des Diesel-Gesamtverbrauchs von knapp 29 Millionen Tonnen (Benzin: 25 Millionen Tonnen; Zahlen von 2005). Von einer Selbstversorgung ist die Bundesrepublik damit weit entfernt. "Im günstigsten Fall", sagt BBK-Chef Schrum, "lassen sich beim Diesel 30 Prozent ersetzen und beim Benzin 20 Prozent." Nach Angaben der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe wäre bis 2020 der Anbau auf etwa 3,5 Milliarden Hektar möglich. Das ist fast ein Drittel der deutschen Ackerfläche. Sie könnten durch verbesserte Herstellungsmethoden ohne Konflikt mit der Lebensmittelproduktion 11 Millionen Tonnen Biokraftstoff liefern.
Darüber hinaus gehende Quantitäten müssten importiert werden. Als mögliche Erzeugerländer nennt Schrum die Ukraine und Weißrussland: "Die Ukraine hat sechsmal so viel Ackerland wie Deutschland. Sie könnte sich komplett selbst versorgen und hätte dann immer noch Überschüsse. Die Hälfte davon könnte unsere Lücken bei Diesel und Ethanol füllen." Dazu müsse noch Soja aus Südamerika kommen.
Die Branche im Goldrausch
Diese Entwicklung versetzt die Branche in einen Goldrausch. Im März trafen sich ihre Vertreter zum Kongress "Worldbiofuelmarkets" in Brüssel.
Im Jahr 2020, rechneten Experten dort vor, werde es weltweit mehr Biokraftstoff geben als Öl aus Saudi-Arabien. Entsprechend fließen viele Milliarden Dollar in den neuen Markt. Davon wollen auch die US-Farmer profitieren. Viele schwenken um auf Maisanbau zu Lasten anderer Kulturen wie Soja, Weizen und Baumwolle. Im traditionellen Weizenstaat Kansas etwa übersteigt die Maisproduktion die des Brotgetreides bereits um 23 Prozent. Für Sojaöl als Rohstoff für Biodiesel erwarten Experten indes bald einen ähnlichen Höhenflug. Dann, fürchten Umweltschützer, reiche die Anbaufläche nicht mehr aus, um die Nation gleichzeitig zu ernähren und mobil zu halten. Deshalb könnten Naturreservate unter den Pflug kommen.
Keine Agaven für Schnaps
Für viele Länder wandelt sich der mögliche Segen jedoch zum Fluch. In Mexiko gab es im Frühjahr Proteste gegen den Preisanstieg bei Mais und damit beim Grundnahrungsmittel Tortilla. Weil die USA riesige Mengen an Mais in die Produktion von Ethanol umlenkten, verteuerten sich für den südlichen Nachbarn die Importe. Einheimische Bauern konnten nicht in die Bresche springen: Die vormals billigen US-Einfuhren hatten viele von ihnen zur Aufgabe gezwungen.
Mittlerweile schlagen auch die Tequilaproduzenten Alarm: Das Angebot an Blauen Agaven, die den Grundstoff für den Schnaps liefern, ist um 35 Prozent gesunken, weil viele Bauern vom Agavenanbau auf Mais umstellen. In Nord- und Ostbrasilien breiten sich die Zuckerrohrplantagen für die Ethanolproduktion immer weiter aus. Wie in Kolumbien werden Kleinbauern verdrängt und müssen sich in sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen bei den Biosprit-Herstellern verdingen. Das Land erzeugt heute 21 Milliarden Liter Bioethanol pro Jahr aus Zuckerrohr. 2010 sollen es 30 Milliarden Liter sein. Dem Zuckerrohr muss Regenwald weichen, und auch das Pantanal ist bedroht. Bis 2050, fürchten Naturschützer, könnte dieses größte Feuchtgebiet der Welt verschwunden sein.
Keine Braugerste, kein Bier
Auch Deutschlands Biertrinker könnten bald unter dem neuen Goldrausch leiden. Denn es fehlt an Braugerste. Brauereien ohne ausreichende Vorräte drohen daher Produktionsengpässe. Ursache ist neben einer schlechten Ernte ein Rückgang der Anbaufläche. "Dies begann durch den sinkenden Bierkonsum", erklärt Kai Schürholt, Sprecher des Deutschen Brauerbundes. "Neuerdings gibt es jedoch eine Flächenkonkurrenz durch die Bioenergiebranche. Dadurch verringert sich der Braugerste-Anbau weiter, und die Bierpreise könnten steigen."Auch die deutsche Ernährungsindustrie sorgt sich um ihre Rohstoffe. Sie begrüße zwar den Ausbau der Bioenergien, doch um eine Beeinträchtigung der heimischen Nahrungsmittelproduktion zu vermeiden, dürfe sie der Staat nicht unangemessen fördern, verlautbarte jüngst ihre Bundesvereinigung.
Steigende Lebensmittelpreise und Hungerkatastrophen
Selbst in den USA steigen durch den Biosprit-Boom die Lebensmittelpreise. Bei Mais verdoppelten sie sich bereits, was in der Fleischproduktion die Kosten treibt. Raps- und Sojaöl legten bereits im vergangenen Jahr kräftig zu, und auch Alkohol als Rohstoff - unter anderem für Spirituosen - verteuerte sich weltweit um 25 Prozent.
Weil Agrarprodukte künftig im Lande bleiben, glauben Fachleute, gehe auch die Rolle der USA als globale Kornkammer verloren, was unter anderem die Nothilfe für Hungergebiete beeinträchtige. "Amerikas Farmer ernähren nicht länger die Welt", klagt Ken Cook von der Environmental Working Group in Washington. "Stattdessen ernähren sie Geländewagen." Weltweit, warnte soeben der bekannte Soziologe und frühere Schweizer Parlamentsabgeordnete Jean Ziegler, könne der Schwenk zu den Energiepflanzen zu 100 000 Hungertoten führen.
Biosprit zerstört Regenwald
Die Klimaneutralität des Biosprits entpuppt sich zunehmend als Mär.
In Malaysia und mehr noch in Indonesien werden riesige Regenwaldflächen zerstört, um Raum für Ölpalmen zu schaffen. Sie sind die ergiebigsten Energiepflanzen der Welt und bringen mit bis zu sieben Tonnen Öl pro Hektar und Jahr etwa zehnmal so viel Ertrag wie Soja. "Die Industrie entdeckt das Geschäft mit dem Palmöl, doch dieser Boom vernichtet tropische Wälder", klagt Reinhard Behrend, Leiter der Hamburger Umweltorganisation Rettet den Regenwald (RdR). Betroffen sind vor allem Torfsumpfwälder auf Borneo und Sumatra. Sie werden trockengelegt, die Vegetation wird abgefackelt. Jährlich müssen 500 000 Hektar Wald den Ölpalmenplantagen weichen.
Die Folgen ermittelte der Ökologe Florian Siegert von der Universität München. Auf Satellitenbildern identifizierte er 2006 in Indonesien, Malaysia und Brunei über 116 000 Feuer, davon 35 Prozent auf Torfböden. Sie setzten über zwei Milliarden Tonnen CO2 frei - fast zehn Prozent der globalen Emissionen. Rekordfeuerjahr in der Region war indes 1997/98. Damals bedeckte eine riesige Rauchwolke ganz Südostasien. Siegert dazu: "Es ist kaum vorstellbar, wie viele Ölpalmen es bräuchte, um diese Mengen durch Erdöleinsparungen zu kompensieren."
Torf zersetzt sich, CO2 wird frei
Nach Berechnungen der niederländischen Naturschutzorganisation Wetlands International werden durch die Zersetzung des Torfs pro Hektar und Jahr 70 bis 100 Tonnen CO2 frei. Für jede erzeugte Tonne Palmöl gelangen mithin 33 Tonnen des Treibhausgases in die Luft. Würde die daraus gewinnbare Energie durch die Verbrennung von Erdöl erzeugt, wären es nur drei Tonnen. In Indonesien heizt die Regenwaldvernichtung zudem soziale Konflikte an. Auch dort werden zahlreiche Menschen wegen der Plantagen von ihrem Boden vertrieben.**)
Gleichwohl verfeuern deutsche Blockheizkraftwerke jährlich 300 000 Tonnen Palmöl. In Schwäbisch Hall etwa ging unlängst eine 5-Megawatt-Anlage in Betrieb, mit einem Jahresverbrauch von 7500 Tonnen. Es werde von Altplantagen in Malaysia bezogen, versichern die Betreiber, zudem sei der Lieferant Mitglied des "Runden Tischs für nachhaltiges Palmöl", dem Erzeuger und Nutzer angehören. Dieses Gremium aber, kritisiert RdR-Chef Behrend, gewährleiste keine Produktionskontrolle.
Im Saarhafen Saarlouis-Dillingen plant ein Firmenkonsortium den Bau einer Anlage mit zwölf Blockheizkraftwerken. "Allein für deren Betrieb müssen 20 571 Hektar Regenwald sterben", fürchtet Andreas Kleber, Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Dillinger Stadtrat. Zwar startete der saarländische Umweltminister Stefan Mörsdorf eine Bundesratsinitiative für eine nachhaltige Palmölproduktion, im Fall Dillingen hält er sich bis jetzt aber bedeckt.
Die Bioethanolherstellung schadet dem Klima
Die Bioethanolherstellung schadet dem Klima. Für Dünger, Pestizide, den Landmaschineneinsatz und schließlich die Verarbeitung von Maiskörnern und Zuckerrohr zu Sprit bedarf es viel fossiler Treibstoffe.
Deshalb gibt Bioethanol nur 20 Prozent mehr Energie her, als zu seiner Herstellung nötig war. Bei Pflanzenölen für Biodiesel in Mitteleuropa, etwa aus Raps, Sonnenblumen oder Rübsen, ist es mit der Klimawirkung ebenfalls nicht weit her. Sie erbringen einen Energieüberschuss von 50 Prozent. Bei Stärkepflanzen zur Ethanolproduktion ist die Bilanz etwas besser. Getreide erreicht trotz der energieintensiven Destillation einen "Erntefaktor" von 60 Prozent, Zuckerrüben sogar 100 Prozent. Unerfreulich fällt auch die Umweltbilanz der heutigen Energiepflanzen aus. Beim Rapsanbau, schreibt das Heidelberger Ifeu-Institut in einer Studie, schlagen der hohe Flächenverbrauch und der intensive Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln negativ zu Buche.
Die Zertifizierung der Rohstoffe
Trotz all der negativen Auswirkungen führt an der Nutzung der Biokraftstoffe kein Weg vorbei, dies konzedieren auch die Naturschützer. Die Pflanzen, fordern sie, müssen aus nachhaltigem Anbau stammen. Ebenso sei aber ihre bessere energetische Verwertung erforderlich. "Dann sind volle Tanks und volle Teller zugleich möglich", erkennt Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen. Die Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion werde sich einpendeln, wenn erst einmal alle geeigneten brachliegenden Flächen genutzt werden. Bis dahin seien aber noch reichliche Marktverwerfungen zu erwarten.
Zwingend ist jedoch eine Zertifizierung der Rohstoffe, insbesondere des Palmöls. Das Bundeslandwirtschaftsministerium beauftragte bereits Experten mit der Ausarbeitung eines Zertifizierungssystems, das eine nachhaltige Produktion des Palmöls gewährleisten soll. Noch in diesem Jahr soll ein zweijähriger Probelauf beginnen. Umweltschützer sind skeptisch: In Deutschland könne doch niemand feststellen, ob in Indonesien Öl aus Raubbau-Plantagen unter zertifizierte Erzeugnisse gemischt werde, argumentieren sie.
China zieht die Notbremse
Als erstes Land zog jetzt China die Notbremse. Trotz seines wachsenden Energiebedarfs verfügte die Regierung Anfang Juni bei der Bioethanolproduktion ein Moratorium. Auch im Reich der Mitte waren durch den Energiepflanzenanbau die Preise vieler Lebensmittel rapide gestiegen. Jetzt sollen Wissenschaftler im Regierungsauftrag untersuchen, wie Energie- und Nahrungspflanzen koexistieren können. Erst wenn sichergestellt ist, dass Lebensmittel auch künftig preiswert und in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, darf die Biosprit-Herstellung weitergehen. Für sie, verlautbarten Pekings rote Mandarine, habe die Ernährungssicherheit im Land oberste Priorität. Sie wissen aber auch, dass sonst Volksaufstände drohen, die ihre Herrschaft rasch beenden könnten.
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*) Mein Kommentar aufgrund einer Radionachricht von heute: GWBush, der US-Präsident, will die 2. Generation von Agrotreibstoffen fördern. Dank neuer Verfahren soll Äthanol aus Zellulose hergestellt werden. Hier wird ein Problem wiederum die Energieeffizienz sein; zudem: was geschieht mit unseren Böden, Mikroben, Pilzen, Käfern, Insekten wenn die Biomasse nicht mehr als Lebensraum zur Verfügung steht, sondern in rauen Mengen verfeuert/chemisch umgeformt wird?
**) Mein Kommentar aufgrund einer BBC TV Dokumentation, Save the Planet, von vergangener Woche:
Auch die letzten Populationen des vom Aussterben bedrohten Orang Utan - des dem Menschen am ähnlichsten Menschenaffen - sind durch diese Plantagen extrem in die Enge getrieben.
Kommentare können auf http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/klima abgegeben werden.
Monday, 11 June 2007
Chiquita im Zusammenhang mit Gewalttaten in Kolumbien verklagt
Im folgenden leite ich eine AFP-Meldung weiter, die Euch interessieren dürfte, falls Ihr sie noch nicht gelesen habt. Das Zitat läuft von **** zu ****.
Mein Fazit ist absolut klar: Wenn schon Bananen und andere Südfrüchte, dann nur solche, die mit dem Max Havelaar-Siegel ausgezeichnet sind, das für ein Mindestmass an Mitbestimmung der Produzierenden garantiert. Idealerweise kaufen wir nur Produkte, die auch "biologisch", also ohne Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden produziert worden sind.
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AFP -- 09. Juni 2007
Chiquita im Zusammenhang mit Gewalttaten in Kolumbien verklagt
Washington - Hinterbliebene von 173 Gewaltopfern in Kolumbien haben den US-Bananenkonzern Chiquita wegen dessen Unterstützung ultrarechter paramilitärischer Gruppen auf Schadenersatz in Höhe von mehreren Millionen Dollar verklagt. Der Leiter des Anwaltsteams, Terry Collingsworth, sprach am Donnerstag (Ortszeit) von einem "Markstein" in der Rechtsgeschichte. Möglicherweise handele es sich bei dem Verfahren in Washington um den größten Terroristenprozess, den es je gegeben habe. Die paramilitärischen AUC-Milizen ermordeten dem Rechtsanwalt zufolge in den vergangenen zehn Jahren mehr als 10'000 Menschen, viele von ihnen in den Chiquita-Plantagen im Norden Kolumbiens.
Chiquita hatte im März eingeräumt, die zum Schutz der Bananenplantagen im Departamento Antioquia eingesetzten Milizen der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) zwischen 1997 bis 2004 mit mehr als 1,7 Millionen Dollar (fast 1,3 Millionen Euro) unterstützt zu haben. Wenig später erklärte sich das Unternehmen bereit, 25 Millionen Dollar Strafe zu zahlen.
Die AUC-Todesschwadronen begingen in ihrem Kampf gegen linksgerichtete Rebellen Massaker mit Hunderten von Toten. Die US-Regierung setzte die AUC Ende 2001 auf ihre Liste von Terrororganisationen. Nach einem Abkommen mit der Regierung in Bogotá schlossen die Paramilitärs im vergangenen Jahr offiziell ihre Entwaffnung ab.
Die Klage wurde an dem Tag eingereicht, als Kolumbiens rechtsgerichteter Präsident Alvaro Uribe in Washington für die Ratifizierung des Ende 2006 zwischen seinem Land und den USA unterzeichneten Freihandelsvertrags warb. Der von den Demokraten beherrschte Kongress hat Vorbehalte gegen die Ratifizierung geltend gemacht, solange die Straflosigkeit für AUC-Milizionäre und die Gewalt gegen Gewerkschaftsmitglieder in Kolumbien anhält.
Wegen ihrer Verbindungen mit den Paramilitärs wurden in vergangenen Wochen zahlreiche kolumbianische Regierungsvertreter und Parlamentarier festgenommen. Auch Uribe selbst, der einst Gouverneur von Antioquia war, wird von linker Seite vorgeworfen, in Machenschaften mit den Ultrarechten verstrickt zu sein.
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Quelle: http://www.net-tribune.de/article/090607-71.php
Thursday, 26 April 2007
Kolumbien: Die Suche nach Massengräbern dauert bereits ein Jahr
Grauenhafte Nachrichten: in Kolumbien wird nach 10'000 bis 31'000 verschwundenen Toten gesucht.
Heute sehe ich mich schlicht gezwungen, mit Dir, mit Ihnen, die grässlichen Nachrichten zu teilen, die mich heute aus meinem vielgeliebten Kolumbien erreicht haben. Leider gemahnen mich gewisse Neuigkeiten schon länger an Gräueltaten, die von den Nazis von Hitler, Mussolini und Franco -- von ähnlichen Verbrechen jüngeren Datums ganz zu schweigen -- verübt worden sind. Jetzt aber gibt es dafür noch handfestere Indizien.
El Tiempo, die grosse, unabhängige kolumbianische Tageszeitung, berichtet in ihrer Ausgabe vom 24.4.07 im Teil "Justicia" ("Recht") über Zehntausende von verschwundenen Toten, nach denen gesucht wird. Abgesehen von dieser traurigen Tatsache ist es ein Skandal, dass offenbar niemand in der classe politique sich um den Schmerz der Hinterbliebenen kümmert, die seit Jahrzehnten, seit Monaten, Wochen nach ihren Lieben suchen, und dass die Verbrecher nicht verfolgt werden.
Hier der Link zum vollständigen Artikel (auf spanisch): http://www.eltiempo.com/justicia/2007-04-24/ARTICULO-WEB-NOTA_INTERIOR-3525023.html
Und so beginnt der Artikel von Luz María Serra, Redaktionsleiterin:
"EL TIEMPO hat sich ins Herz dieser Suche begeben, die vor einem Jahr begonnen hat. Bisher hat man 533 Leichen gefunden, von denen aber bloss 13 aufgrund von DNS-Untersuchungen und 173 aufgrund von Kleidungsstücken haben identifiziert werden können.
"Es sind schreckliche Fakten zutage getreten: Paramilitärs erteilten Kurse im Zerhacken menschlicher Körper; die "Aguilas Negras" ["Schwarze Adler", eine seit der sog. Entwaffnung der Paramilitärs in den Jahren 2005/06 entstandene rechtsradikale Gruppierung, die sich eines Nazivokabulars und offenbar auch Nazi-ähnlicher Methoden bedient] graben die Leichen aus und werfen sie in die Flüsse; die [Angehörigen der] Opfer sind nach wie vor verängstigt und eingeschüchtert.
"Keine Antworten
[Neben diesem Text findet sich auf der oben angegebenen Website eine Foto des Generalprokurators. Sie zeigt von der Erde gebräunte Unterschenkelknochen, die noch in Socken und Frauenschuhen stecken. Es ist offensichtlich, dass die Beine abgeschnitten oder abgesägt wurden. Ich habe keinen Zweifel, dass es sich hier um die Spuren eines Verbrechens handelt.]
"Wem gehören diese Schuhe? Wer war sie? Weshalb hat man sie getötet? Wird sie vielleicht von einer alten Frau gesucht, die sich mit Erinnerungen an eine verlorene Tochter quält? ¿Oder sucht sie vielleicht niemand mehr?
"Dies sind nur einige von vielen möglichen Fragen, die diese Foto von einem Massengrab bei Facatativá (Cundinamarca) aufwirft. Seit den letzten Kriegsjahren sind in Kolumbien 10'000 bis 31'000 Personen spurlos verschwunden (die erste Zahl stammt vom Büro des Generalprokurators, die zweite von der Kolumbianischen JuristInnenkommission [Comisión Colombiana de Juristas]).
"Im ersten Jahr der Suche nach Massengräbern hat das Büro des Generalprokurators 3'710 Hinweise auf mögliche Orte erhalten; allerdings konnten infolge Geld- und Personalmangel nur die wenigsten Stellen untersucht werden: 533 Leichen wurden gefunden. Doch nur 13 von ihnen konnten aufgrund ihrer DNS klar identifiziert werden; weitere 173 wurden vorläufig identifiziert (aufgrund von Kleidungsstücken, Tätowierungen usw.).
"Sie erteilten Unterricht, wie man Menschen zerhackt
"Als wir von EL TIEMPO uns entschlossen, einen Sonderbericht zum Thema Massengräber zu machen, wiederholte sich auf unserer Redaktion immer wieder die gleiche Szene: einer nach der anderen kehrten die ReporterInnen geschockt von ihrer Arbeit zurück.
"Nur wenige Informationsprojekte haben uns im gleichen Mass erschüttert wie dieses; uns fehlen die Worte, darüber zu berichten: wegen der entsetzlichen Methoden, derer sich die Mörder bedient haben; wegen des unstillbaren Schmerzes der Familienangehörigen der Opfer; doch – vielleicht am meisten – wegen des Gefühls, dass dieses Unterfangen unser Land zum jetzigen Zeitpunkt völlig überfordert. Wird es überhaupt möglich sein, eine signifikante Anzahl Leichen zu exhumieren und zu identifizieren und damit wenigstens ihren Angehörigen Gewissheit zu geben? Wird es möglich sein, die nötige Trauerarbeit zu leisten, auf dass Kolumbien nicht in eine dritte Phase extremer Gewalt versinke?
"Die Zeugenaussagen der Paramilitärs und die Funde der gerichtsmedizinischen Teams lassen folgenden Schluss zu: Die Vereinigten Selbtsverteidigungskräfte Kolumbiens [AUC–Autodefensas Unidas de Colombia, die grösste und berüchtigtste Gruppierung von Paramilitärs] entwickelten nicht nur eine Methode zum Zerhacken von Menschen; sie erteilten sogar Unterricht in dieser Methode, wobei sie lebende Menschen als Versuchspersonen missbrauchten, die sie in ihre Trainingscamps verschleppt hatten."
[...]
"Eines der grossen Probleme ist, dass dieses Thema den entscheidenden Nerv des Landes nicht zu treffen scheint. 'Es ist, als wäre nichts geschehen. Wir finden Massengräber, doch das Land scheint nichts dabei zu fühlen,' beklagt sich einer der mit Exhumierungen beauftragten Staatsanwälte. Und María Victoria Uribe, die Anthropologin, die das Land über die mörderischen 1950er-Jahre aufgeklärt hat, fügt bei: 'Die obere Klasse von Bogotá schert sich einen Teufel um 15 Leichen, die man in Sucre gefunden hat.'
"Im früheren Jugoslawien, zum Beispiel, wurde eine DNS-Datenbank eingerichtet, aufgrund derer 10'000 Opfer identifiziert werden konnten. In Kolumbien gibt es zwar ein paar wenige Anstrengungen (so wurde ein Suchplan genehmigt, und Ende 2006 wurde das Team der Staatsanwaltschaft von einem Spezialisten auf drei erhöht, denen zudem acht Anwälte zur Seite gestellt worden sind), doch bisher ist das Vereinheitlichte Verschwundenenregister nicht vollständig, das von Gesetz wegen seit dem Jahre 2000 bestehen sollte, und die Exhumierenden müssen sich zuweilen sogar in den Ausgrabungsstätten wie in Schützengräben gegen bewaffnete Gruppen schützen.
"[...] Das Thema würde es verdienen, [...] in den Entwicklungsplan (Plan de Desarrollo) aufgenommen zu werden. Doch bisher ist nichts dergleichen geschehen.
"[...]"
Mit dem folgenden Abschnitt endet der Artikel:
"Das Büro des Generalprokurators (Fiscalía General) veröffentlicht auf einer Website Fotos von Kleidungsstücken, auf die man bei Knochenfunden in Massengräbern gestossen ist. Der Link zu diesem Museum der Schande ist: http://www.fiscalia.gov.co/justiciapaz/index.htm"
Es ist mir schwer gefallen, diesen Artikel zu lesen und für Dich, für Sie ins Deutsche zu übersetzen. Aber ich bin überzeugt, dass wir das Wissen über diese Verbrechen "sozialisieren" und unsere Stimme dagegen erheben müssen, damit niemand sagen kann, wir hätten es nicht gewusst – das hatten wir ja während und nach dem 2. Weltkrieg schon einmal!
Ich möchte mit diesem Beitrag auch meine Unterstützung und meine Hochachtung für die JournalistInnen und ReporterInnen von El Tiempo ausdrücken. Mein Respekt für sie ist riesig. Ich hoffe, dass sie die Kraft haben, ihre Arbeit weiter zu führen.
Saturday, 27 January 2007
Soziale Bewegungen: Von Frauen, Ziegelsteinen, Schleiern und Stühlen...
Wie an jedem Sonntag ging sie auch am 10. Dezember 2006 aus dem Haus, um an der 7. Strasse in Bogotá die Schaufenster zu bestaunen, die so sorgfältig hergerichtet sind, um glauben zu machen, Haben sei Sein. Sie ging aber auch aus dem Haus, um die Kreativität all der Arbeitslosen und ÜberlebenskünstlerInnen zu geniessen, welche sich über ihr eigenes Elend lustig machen, ZuhörerInnen und Geldstücke anlocken, und um zu versuchen, die Drohung zu vergessen, die sich Jahr für Jahr über ihr und Millionen anderer zusammenbraut: Die Nichterneuerung des Vertrages.
Auch um das dunkle und feuchte Mietzimmer zu vergessen, wo sie, ihren Sohn im Arm, die Nächte schlaflos verbringt im vergeblichen Versuch, die Erinnerungen zu verscheuchen, die sie längst begraben möchte. Dies versucht sie diesen Sonntag in der 7. Strasse, in der ein überbordender Strom von sonntäglichen Passanten anschwillt: Büromenschen, Angestellte, Arbeitslose, Hausfrauen, verliebte Paare, Familien mit ihren Kindern – einige zu Fuss, andere auf dem Fahrrad. Wie sie möchten alle die Sonne und den Weihnachtsschmuck, das Lichtermeer und die verschwendete Energie bewundern und wenigstens für einen Augenblick die täglichen Ängste und Sorgen betäuben.
Ihren Sohn an der Hand geht sie von Norden nach Süden. Plötzlich sticht ihr etwas in die Augen. Weisse Stühle. Schwarze Kleider. Schwarze Schirme. Schwarze Schleier, die von Trauer sprechen. Weisse Kreuze auf schwarzen Schürzen. Weisse Ziegelsteine aufgestellt auf dem Asphalt. Schwarze Buchstaben auf weissen T-Shirts: ¡Nunca Más! – NIE MEHR!
Es ist eine historische Ecke, wo ihre Schritte zum Stillstand kommen. Im Süden liegt der Bolivarplatz. Wie oft haben Männer und Frauen, das Herz voller Hoffnungen, zwischen Fahnen und Schreien geglaubt, dass ihre Träume von Würde, Gerechtigkeit, Freiheit wahr würden? Wie oft haben Männer und Frauen in langen Reihen gebrochenen Herzens diesen Platz Schritt für Schritt durchschritten und ihre Toten verabschiedet? Wie viele Kundgebungen aller Arten und Schattierungen, wie viele Schreie nach Gerechtigkeit, wie viel Hoffnung, Schmerz und Wut hat dieser Platz gesehen?
Im Hintergrund das Casa del Florero (Haus des Blumenstrausses), Zeuge des „Schreis nach Unabhängigkeit“ der Kreolen gegen die Spanier, das im Laufe der Zeit zu einem Zentrum der Folter und des Verschwindenlassens wurde. Gegenüber der Justizpalast, dessen rauchende Ruinen vor 21 Jahren dem Strom von Blut Tür und Tor öffneten, in dem die Träume von Millionen von Männern und Frauen ertränkt wurden, die damals an eine mögliche neue, nahe scheinende Welt glaubten. Sie alle wurden von der sich bedroht fühlenden Macht erbarmungslos angegriffen. In einer Kombination von Verhandlungen, Friedensdiskursen, Verfassunggebender Versammlung, Blut, Tod, Raub, Horror, Vertreibung, Desinformation, Verwirrung, mit Friedenstauben, Reden über den sozialen Rechtsstaat, Terror, Aufsplitterung, Verzweiflung in Weilern und Stadtvierteln des ganzen Landes öffneten sie den Weg der Globalisierung, dem bilateralen Freihandelsabkommen mit den USA (TLC) und den übrigen multinationalen Gesellschaften. Und gleichzeitig versuchten sie jede Form sozialer Organisation wegzufegen.
Fragen, die Mauern aufreissen
Der Grundinstinkt ist vorbei zu gehen, ohne zu schauen. Es sind fast immer Kinder, die fragen: „Was ist das?“, und die Erwachsenen an der Hand zu den Stühlen ziehen. Und es sind meist die Kinder, die – fast immer mit lauter Stimme – die schwarzen Buchstaben auf den weissen Ziegelsteinen lesen. Und meist folgt ihrer Lektüre die Frage: „Warum?“ Auf allen Ziegelsteinen stehen Namen, Daten und Todesformen, die es nicht geben dürfte. „Warum?“, fragt auch sie sich.
Sie geht weiter. Strasse um Strasse. Ziegelsteine und noch mehr Ziegelsteine mit Namen und Daten. „Es sind von der Guerilla ermordete Militärs“, sagt jemand an ihrer Seite. Doch plötzlich liest sie auf einem Ziegelstein: Jaime Pardo Leal, ermordet. Und weiter auf einem anderen: Luz Mary Portela, aus dem Justizpalast verschwunden; auf einem weiteren: Luis Carlos Galán, ermordet. Sie zweifelt. Auf ihrem Gesicht zeigt sich ein Hauch von Bestürzung und im Weitergehen, immer mehr Strassen hinter sich lassend, wächst der Wunsch nachzufragen.
Als sie an die 26. Strasse kommt, entscheidet sie sich. Schwarz und jung ist das Gesicht der Frau, die mit sanfter und klarer Stimme antwortet: „Mein Vater wurde von Paramilitärs verschleppt und ermordet. Mein Bruder wurde gezwungen, in ihren Reihen zu kämpfen und starb durch einen Schuss in einem Gefecht. Meine Mutter starb aus Trauer und Schmerz zwischen schwarzen Plastikplanen in dieser kalten und fremden Stadt. Darum bin ich hier. Denn ich möchte, das dies NIE MEHR jemandem zustösst. Denn ich möchte, dass es NIE MEHR Männer und Frauen gibt, die ermordet, gefoltert, zum Verschwinden gebracht, entführt, vergewaltigt, von ihrem Land vertrieben werden. NIE MEHR sollen würdige Menschen zu Bettlern gemacht werden.“
„Ich möchte, dass sich die Jungen NIE MEHR verstecken müssen, um nicht gezwungen zu werden, zu schiessen statt zu pflanzen, zu töten oder sich töten zu lassen. Darum bin ich hier. Auf diesem Stuhl. Neben diesen Ziegelsteinen, die gewaltsam entrissenes Leben bedeuten. Ich unterdrücke meine Tränen, aber ich kann meine Gedanken nicht aufhalten, die sich wie in einer Mühle drehen, mit meiner Trauer spielen und mich vom Himmel in die Hölle zu stürzen drohen.“
„Hölle, wenn ein gefühlloses Gesicht mich daran erinnert, dass nebst Land und Ressourcen auch der Geist und das Herz Schlachtfelder sind. Dass Nachrichten, Werbeslogans, Fernsehserien zusammen mit Kugeln, Gewehren und Motorsägen Teil des Arsenals sind, das uns unserer selbst berauben und mittels Manipulation und wissenschaftlich ausgearbeiteten Lügen zu verängstigten, unterwürfigen und unsensiblen Komplizen machen soll.“
„Himmel aber, wenn jemand wie Sie ihre Angst überwindet und zu fragen wagt. Himmel, wenn Ihre Augen und die Augen Ihres Sohnes sich mit Tränen füllen, wenn Sie meine, unsere Geschichte hören. Himmel, wenn ich – um ein wenig auszuruhen – den Stuhl verlasse und von meinem Platz aus die unendliche Reihe von Frauen, Stühlen und Ziegelsteinen sehe und davor unzählige gebeugte Köpfe, die die Inschriften auf den Steinen lesen und sich mit Fragen füllen.“
Sie weiss nicht, was sie sagen soll. Das „Danke“, das sie über ihre zitternden Lippen bringt, tönt schüchtern. Mit den Stunden verändert sich die Umgebung. Der Passantenstrom fliesst weiter. Auch am Nachmittag ziehen die Stühle und Ziegelsteine Blicke und Schritte an. Gegen zwei Uhr entscheidet sie sich, heim zu gehen. Aus der Ferne schaut sie zurück. Eine unendliche Reihe von Ziegelsteinen bleibt. Und ihr gegenüber – schweigend – Frauen, Männer, Kinder, Jugendliche und Betagte in Fragen versunken...
Gegen vier Uhr nachmittags kommt sie zum Bolivarplatz. „Wir möchten leben, wir möchten produzieren, wir möchten essen“, sagt eine betagte Indígena, deren Stimme vom Wind weggetragen wird. In ihrer indigenen Sprache ruft sie die Götter an. Sie bittet sie um Kraft und Klugheit, um die tödliche Lawine aufzuhalten, die Land, Frauen und Männer auslöscht. Der Abend legt sich über die Hügel.
Indígenas, Bauern und Bäuerinnen, Frauen und Männer in weissen T-Shirts mit den schwarzen Buchstaben Nunca Más – NIE MEHR, zirkulieren auf dem Bolivarplatz und seiner Umgebung im Kreis. Sie begleiten klatschend den langsamen Rhythmus von Flöten und den Schritt der blossen Füsse an der Schlusszeremonie dieses Tages, der Risse in die Mauer der Straflosigkeit, der Desinformation, der Gleichgültigkeit und der Angst schlagen will.
Inmitten der Frauen und Männer mit den weissen T-Shirts kommen und gehen grün gekleidete Männer und Frauen mit Waffen am Gurt, Funkgerät und Mobiltelefon. Wie viele Namen der Menschen in Weiss werden auf einem Ziegelstein stehen, mit einem Datum, einem Ort und einer Todesart, die es nicht geben dürfte? Diese Frage steigt auf, wenn man das Polizistenpaar beobachtet, das mit seinem Mobiltelefon Fotos von lächelnden Gesichtern und Blicken macht und Lieder aufzeichnet.
Sie sieht sie nicht. „Am nächsten Sonntag schauen wir uns die Weihnachtsbeleuchtung an“, verspricht sie ihrem Sohn, als sie vom Bolivarplatz weggehen. Ihre Finger durchwühlen in der Tasche die Flugblätter, die sie eingesammelt hat und in denen sich vielleicht eine Adresse und der notwendige Mut findet, um jemandem ihre Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte, die sie nachts als Albtraum überfällt. Diese Geschichte, die den Sohn zum Halbwaisen und sie zur Flüchtlingsfrau gemacht haben, die ihre Angst in der Menge versteckt.
[aus: Kolumbien-aktuell, No. 444, 24. Januar 2007 -- Übersetzung aus dem kolumbianischen Spanisch: Bruno Rütsche, von mir leicht redigiert]
Wednesday, 24 January 2007
Glencore/Xstrata Kolumbien: Die Gewerkschaft SINTRACARBON ersucht um dringende Unterstützung
Soeben habe ich folgenden Aufruf erhalten:
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Musterbrief auf spanisch (deutsche Kurzfassung am Schluss, gefolgt von aktualisierter Lagebeschreibung):
AbsenderIn, Ort, 23 de enero de 2007
Señor León Teicher
Carbones del Cerrejón LLC
leon.teicher@cerrejoncoal.com
Estimado señor Teicher
Me dirijo a usted para expresar mi preocupación por la situación de los miembros del Sindicato SINTRACARBON y los trabajadores de la Mina El Cerrejón, asó como de las comunidades afectadas por la mina como lo son los desplazados de Tabaco y Manantial y las comunidades de Tamaquita, Roche, Patilla y Los Remedios.
Conozco de la situación de aislamiento, contaminación y destrucción del territorio de los habitantes de las mencionadas comunidades así como de las dificiles condiciones de trabajo en la mina. He sido informado del avance lento de las negociaciones entre la Comisión negociadora de Carbones del Cerrejón LLC y SINTRACARBON sobre el pliego de peticiones para una nueva convención colectiva.
Me preocupa enormemente que en más de treinta días de negociaciones no se haya llegado a ningún acuerdo sobre el pliego de peticiones presentado por SINTRACARBON. SINTRACARBON me ha informado de la posición bastante cerrada que ha mostrado la empresa durante la negociación y de la falta de voluntad para llegar a acuerdos. Estoy muy consciente de la dificil situación económica de los trabajadores ante el continuo aumento de gastos para salud, educación de los hijos etc., y que la frecuente iliquidez de las familias trabajadoras ha llevado a más de una familia a situaciones emocionales difíciles. Igualmente estoy muy preocupado por la negativa de la empresa de discutir puntos importantes del petitorio como la suerte de los trabajadores contratistas y la solicitud de las comunidades aledañas afectadas por la mina de poder realizar negociaciones colectivas sobre su reubicación integral y recompensas justas.
He sido informado que la semana pasada los afiliados del Sindicato han votado masivamente por la huelga que debería iniciarse de aquí al final del mes de enero de este año. Reconozco la decisión del Sindicato de recurrir a la huelga como mecanismo de presión legal para buscar una solución satisfactoria a su petitorio. Pero a la vez estoy muy preocupado, ya que la huelga puede aumentar los riesgos para los directivos sindicales. Conozco de la crítica situación de seguridad de los líderes sindicales y sociales de la región a raíz de amenazas de muerte proferidos por un grupo paramilitar denominado Las Aguilas Negras. Temo que la huelga pueda empeorar la dificil situación de seguridad de los directivos sindicales.
Por un breve momento parecía que una solución iba a ser posible, ya que el equipo negociador de la empresa había modificado su posición y accedió a abordar el día 22 de enero de 2007 el tema de las comunidades. Sin embargo, de nuevo recibí informaciones según las cuales las negociaciones una vez más no prosperaron ya que su empresa hubiera mostrado un actitud de intransigencia y total falta de voluntad para llegar a acuerdos. Es así que el sindicato SINTRACARBON se retiró de la mesa de negociación y que la huelga parece inevitable.
Sin embargo, le pido a usted y al equipo negociador de Carbones del Cerrejón hacer todo lo posible para llegar a un acuerdo con SINTRACARBON y las Comunidades afectadas por la mina. Respaldo claramente el pliego y la decisión de SINTRACARBON de acudir a la huelga y a las demandas de las Comunidades por negociaciones colectivas y recompensas justas. Además, le pido que haga todo lo posible para garantizar la seguridad de todos los trabajadores, de los líderes sindicales y de las comunidades, y que ante la declaración de la huelga se abstenga de recurrir a medidas de fuerza y de represión.
Confiando en su buena voluntad, mantengo la esperanza de que una solución amistosa sea todavía posible esta semana y que no sea necesario recurrir a la huelga que tendría efectos negativos para todo el mundo.
De su consideración
(Deine/Ihre Unterschrift)
Copias a:
• Señor Andrés Soto, Carbones del Cerrejón LLC, andres.soto@cerrejoncoal.com
• Señor Marc Gonsalves, Fax. +44 20 7968 2810, mgonsalves@xstrata.com
• Señora Claire Divver, cdivver@xstrata.com
• Señora Brigitte Mattenberger, Bahnhofstrasse 2, Postfach 102, 6301 Zug,
Fax: +41 41 726 60 89 bmattenberger@xstrata.com
• SINTRACARBON, jdeluquez@hotmail.com ; flozan1@yahoo.com; jquiroz11@gmail.com
****
Kurzübersetzung des oben stehenden Briefes:
(...)
Ich habe Kenntnis von der schwierigen Situation der Gewerkschaft SINTRACARBON, der Arbeiter der Kohlenmine El Cerrejón und der Bewohner der umliegenden Dörfer. Ich wurde über die Kollektivverhandlungen sehr genau informiert und bin über die erhaltenen Informationen beunruhigt:
Die Verhandlungen verliefen sehr schleppend, und das Unternehmen scheint wenig Interesse gezeigt zu haben, zu einer Einigung zu kommen. So habe sich die Firma geweigert, über gewisse Punkte des Forderungskataloges überhaupt zu verhandeln, so z.B. über die Krankenversicherung der Arbeiter, über die Situation der Temporärarbeiter sowie über das Schicksal der umliegenden afrokolumbianischen und indigenen Gemeinschaften. Diese Weigerung erfüllt mich mit Sorge.
Ebenso wurde ich darüber informiert, dass die Gewerkschaftsmitglieder massiv für den Streik stimmten, nachdem der Verhandlungsrahmen erfolglos ausgeschöpft worden war. Ich anerkenne die Entscheidung der Gewerkschaft, zum legalen Mittel des Streiks zu greifen, bin aber gleichzeitig über die Sicherheitslage der Gewerkschafter und Anwohner besorgt, da schon im Dezember verschiedene Todeslisten zirkulierten. Ebenso habe ich aber erfahren, dass der internationale Druck und der Streikbeschluss Wirkung gezeigt hatte und sich die Firma zum ersten Mal bereit erklärte, über die Anliegen der Gemeinschaften zu verhandeln.
Leider hat auch dieser neue Verhandlungsversuch zu keiner Einigung geführt; die Gewerkschaft denunzierte die Unnachgiebigkeit des Verhandlungsteams der Firma und verliess die Verhandlungen. Trotzdem gelange ich nochmals mit dem Aufruf an Sie, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um eine einvernehmliche Lösung zu ermöglichen und den Streik doch noch abzuwenden.
(...)
***
Aktualisierte Lagebeschreibung (23.1.07)
Die Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen bei Carbones del Cerrejón stehen vor dem endgültigen Scheitern, ein Streik scheint unausweichlich
In den vergangenen gut zwei Wochen wurde zwischen der Gewerkschaft SINTRACARBON und der Verhandlungsequipe des Unternehmens Carbones del Cerrejón LLC weiter verhandelt, ohne dass es zu einer Einigung gekommen wäre. Die Gewerkschaft hat angesichts der Unnachgiebigkeit und des mangelnden Verhandlungswillens des Unternehmens versucht, den Druck zu erhöhen.
So kam es am 11. Januar 2007 zu Protesten der Gewerkschaft SINTRACARBON in Riohacha, der Hauptstadt des Departaments Guajira, um gegen den mangelnden Verhandlungswillen der Minengesellschaft zu protestieren. SINTRACARBON wurde dabei vom Gewerkschaftsdachverband CUT Sektion Guajira und Bewohnern der Gemeinschaften der von der Mine betroffenen Dörfer Roche, Patilla, Provincial etc. und den Vertriebenen von Tabaco unterstützt. Auch in Barranquilla und anderen Orten kam es zu Protestaktionen.
Am 12. Januar 2007 führte SINTRACARBON auch eine grosse Pressekonferenz durch, an der sie den Verlauf der Verhandlungen erklärte und ihren Willen bekräftigte, notfalls einen Streik durchzuführen, wenn es nicht noch zu einer umfassenden Einigung komme.
Derweil wurde intensiv weiter verhandelt: Am 11. Januar wurde von SINTRACARBON ein Verhandlungsvorschlag der Firma diskutiert. Die Verhandlungen gingen am Nachmittag weiter, wobei die Gewerkschaft erneut Gegenvorschläge präsentierte. Am 12. Januar nachmittags erwartete die Gewerkschaft eine umfassende Antwort mit Vorschlägen der Firma, die jedoch nicht eintraf.
Obwohl es in gewissen Punkten zu einer Annäherung gekommen war (z.B. über Anzahl und Höhe der Darlehen an die Arbeiter, über Prämien für die Arbeiter etc.), blieben die Unterschiede in anderen Bereichen sehr gross oder weigerte sich das Unternehmen sogar, diese zu diskutieren. Nicht verhandelt wurde beispielsweise über die Gesundheitsversorgung der Arbeiter und über Stipendien für Universitätsstudium der Arbeiterkinder. Ebenso weigerte sich die Firma, über eine Verbesserung des Status der temporären Vertragsarbeiter und über die Situation der Gemeinschaften zu sprechen.
SINTRACARBON hält daran fest, dass diese Gemeinschaften ein Recht auf kollektive Verhandlungen und auf faire Entschädigungen haben.
Da die offizielle Verhandlungsfrist inklusive Verlängerung am 12. Januar endete, ohne dass eine Einigung erzielt worden wäre, führte die Gewerkschaft vom 15. bis 20. Januar 2007 an ihrer Basis eine Abstimmung über den Streik durch. Die grosse Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter stimmten für den Streik. Schliesslich einigten sich Gewerkschaft und Unternehmen, trotz abgelaufener Verhandlungsfrist weiter zu diskutieren. Im Vordergrund stand eine Lösung für einen Zweijahres–GAV anstatt des ursprünglich von SINTRACARBON angestrebten Dreijahresvertrages. Am 17. Januar wurden dazu von beiden Seiten neue Vorschläge unterbreitet, und am 18. Januar wurde intensiv über die folgenden Themen verhandelt: Löhne, Krankenversicherungen, Ausbildungszuschüsse, Transportzuschüsse, temporäre Vertragsarbeiten und Gemeinschaften. Wieder konnte jedoch kein Durchbruch erzielt werden.
Am 19. und 20. Januar gingen die Verhandlungen weiter, während je ein Vertreter der Gewerkschaft und der Gemeinschaften in Bogotá an einem Hearing im Senat zur Bergbauproblematik teilnahmen. Zudem kam es in Bogotá zu einem internationalen Treffen, an dem auch die ILO (Int. Labour Organisation) und Vertreter von Anglo American teilnahmen. Zudem wurde bei den Abstimmungen vom 15. bis zum 20. Januar mit überwältigender Mehrheit beschlossen, einen Streik durchzuführen. 98% der Gewerkschaftsmitglieder entschieden sich für den Streik, 76% der Stimmberechtigen nahmen an der Abstimmung teil. SINTRACARBON hat nun zehn Tage Zeit, um den Streikbeginn auszurufen. In dieser Zeit kann aber noch weiter verhandelt werden.
International haben die Gewerkschaft und die Gemeinschaften grosse Unterstützung aus den USA, Grossbritannien, Kanada und der Schweiz. All dies hat dazu geführt, dass das Unternehmen Carbones del Cerrejón seine Position vorübergehend etwas aufgeweicht hatte und bereit war, am Montag 22. Januar 2007 erstmals das Thema „Gemeinschaften“ zu diskutieren. Eder Arregoces sollte die Gemeinschaften in diesen Verhandlungen vertreten. Für kurze Zeit kam also Hoffnung auf, dass ein Durchbruch in den Verhandlungen doch noch möglich sei.
Am Abend des 22. Januar 2007 verkündete SINTRACARBON jedoch, dass die Firma einmal mehr keine Bereitschaft gezeigt habe, seriös zu verhandeln. SINTRACARBON hat sich daraufhin von der Verhandlung zurück gezogen; der beschlossene Streik scheint unausweichlich.
SINTRACARBON mobilisiert nun nochmals seine internationalen Unterstützungsnetze und versucht, mit verschiedenen Mobilisierungen und Briefaktionen doch noch eine Einigung zu erzielen.
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Danke herzlich für Deine/Ihre Unterstützung.
Wednesday, 17 January 2007
Zuger Firma unterstützt gnadenlosen Kohleabbau in Kolumbien
Der schweizerische Minenkonzern Xstrata Plc (vorher Glencore AG) besitzt einen Drittel vom kolumbianischen Konzern Carbones del Cerrejón im Departement Guajira, mit 69'000 Hektaren der weltweit grösste Kohlenpott im Tagbau. Der Kohleabbau hat aber seinen Preis: seit Beginn des Abbaus wurden immer wieder ganze Siedlungen von Afrokolumbianern und Indianern geräumt.
Siedlungen werden geräumt
Im August 2001 wurde das Dorf Tabaco gewaltsam geräumt, viele der Betroffenen sind traumatisiert und haben keine oder nur sehr geringe Entschädigungen für ihren gesamten Besitz erhalten. Weiteren Siedlungen droht ein ähnliches Schicksal: Sie müssen in den nächsten ein bis vier Jahren der Mine weichen. Den BewohnerInnen wird schon heute der Zugang zu ihrem Land durch Strassensperren verunmöglicht, die Stromversorgung wird häufig unterbrochen, und Arbeit ist rar. Hinzu kommen gesundheitliche Beschwerden wie Hautausschläge und Atemwegserkrankungen.
Massaker ungeklärt
Immer noch ungeklärt sind die Hintergründe des schweren Massakers an Wayúu–Indianern vom 18. April 2004 in Bahía Portete, bei dem 13 Frauen und Kinder von Paramilitärs brutal ermordet wurden. Es wird geschätzt, dass daraufhin zwischen 1000 und 3000 Wayúu-Indianer nach Venezuela flüchteten. Bahía Portete liegt in unmittelbarer Nähe des Hafens Puerto Bolívar, wo die Kohle verschifft wird, und es bestehen Pläne, in Bahía Portete einen Kohlehafen zu bauen. Verschiedene NGO sehen einen klaren Bezug zwischen dem Massaker und den Hafenplänen.
Zwischen dem 17. und 25. Januar 2007 werden zwei Betroffene aus Kolumbien in der Schweiz Vorträge zum Kohleabbau in der Guajíra halten. Organisiert wird diese Vortragsreihe von der Arbeitsgruppe Schweiz - Kolumbien.
Mehr unter --> http://www.askonline.ch
Monday, 8 January 2007
Buenaventura: Eine vom Schweigen belagerte Stadt
Januar 2007 No. 1/2007
Buenaventura: Eine vom Schweigen belagerte Stadt
Von Bruno Rütsche
Buenaventura ist die wichtigste kolumbianische Hafenstadt am Pazifik. Ein enormer Reichtum fliesst durch den Hafen. Durch die Stadt selbst zieht sich aber eine Spur des Elendes, der Gewalt und der Korruption. Angesichts der Schutzlosigkeit der Bevölkerung gegenüber den Bewaffneten – Paramilitärs, Armee und Guerilla – wagt kaum jemand das Schweigen zu brechen und die unzähligen Verbrechen anzuklagen.
Ein verzweifelter Aufruf...
„Gestern, als ich in der Sonntagsmesse das Evangelium zu lesen begann, bemerkten wir rasche Bewegungen auf der Strasse. Wir schlossen die Türe und hörten Schüsse aus Maschinenpistolen. Einige Schüsse drangen durch die Gitter in die Kirche ein. Wir warfen uns alle zu Boden und krochen zum Pfarrhaus... Etwa eine Stunde später verliessen die Gläubigen das Pfarrhaus und getrauten sich auf die menschenleeren Strassen. Es war ein Gefecht zwischen Guerilla und der Polizei.
Am darauf folgenden Samstag verletzten die Paramilitärs nach der Messe drei Passanten. Zwei davon sollen gestorben sein, der dritte, ein geistig Behinderter mit dem Spitznamen ‚Der Denker’, hat bis jetzt die Operationen überlebt.
Und vor acht Tagen, als die MalerInnen von San Cipriano ein wunderschönes Wandgemälde malten, wobei viele Kinder ihnen zuschauten, wurden auf einer Seite der Kirche zwei Männer getötet, welche seit dem Morgen bewaffnet da waren und zusammen mit anderen tranken... Ich hatte eine halbe Stunde zuvor die Polizei angerufen, doch sie war nicht gekommen.
So ‚feiern’ wir den Advent. Heute gibt es keine Messe, die Kirche bleibt geschlossen, das Pfarreibüro verriegelt, denn man hat uns gewarnt und gesagt, dass diese Nacht das Morden weiter geht.... Alle Strassen des Stadtviertels Lleras sind verlassen und alle Häuser und Läden verschlossen...
Wir werden sehen, wie dies weiter geht. In diesen Vierteln sind beide Gruppen (Paramilitärs und Guerilla) präsent und das Meer hat Ebbe in diesem umstrittenen Gebiet, das sich derart für den Drogenhandel eignet.“ Dies sind die verzweifelten Worte des Priesters Ricardo Londoño, Pfarrer des Viertels Lleras.
...und Todesdrohungen gegen den Bischof
Am 26. Oktober 2006 besuchte Präsident Uribe Buenaventura und nahm dort an einem Sicherheitsrat teil. Der Besuch des Präsidenten begann mit einem Eklat: Er forderte Chipantiza, den Sekretär des Bürgermeisters von Buenaventura auf, den Saal zu verlassen und beschuldigte ihn, versucht zu haben, den Militärkommandanten zu bestechen und zur Rückgabe einer konfiszierten Drogenladung zu bewegen. Chipantiza wurde sofort verhaftet, wenig später aber aufgrund einer fehlenden Anklage aus der Haft entlassen. – Am gleichen Anlass klagte der Bischof von Buenaventura, Monseñor Héctor Epalza, die Korruption der Sicherheitskräfte und ihre Verbindungen mit dem Drogenhandel an. Er sagte damit öffentlich, was alle längst wissen. Wenige Tage später sah er sich aufgrund der Todesdrohungen gezwungen, die Stadt zu verlassen. Erstaunlicherweise führte dies auch in kirchlichen Kreisen zu keinen Protesten. Auch die Bischofskonferenz blieb still und machte sich damit zur schweigenden Komplizin. – Wenn selbst ein Bischof aufgrund einer Aussage flüchten muss, um sein Leben zu retten, was haben dann einfache BürgerInnen zu erwarten, die sich getrauen, Anklagen zu erheben?
Keine Zeit für die Flucht liessen die Mörder Deisi Ruth Calonge, die bei der lokalen Ombudsstelle zuständig für die Rechte der Familien war. Die Frau wurde in ihrem Büro am 11. September 2006 ermordet. Sie hatte sich geweigert, die Freilassung von drei Jugendlichen zu veranlassen, wie es eine bewaffnete Gruppe von ihr gefordert hatte.
Vom Reichtum des Hafens bleibt nichts in der Stadt
Durch den Hafen Buenaventuras fliesst 46% des Aussenhandels. Im Jahr 2005 wurden 11 Mio. Tonnen Güter im Überseehafen verladen. 1'600 Frachter löschten im gleichen Jahr ihre Fracht und wurden mit Exportgütern beladen. Selbst die 3'000 bis 4'000 Hafenarbeiter können kaum von ihrem Lohn leben und die Arbeitsbedingungen sind hart und gefährlich. Seit der Privatisierung des Hafens im Jahr 1994 sind 24 Arbeiter bei Unfällen oder aufgrund eines natürlichen Todes während der Arbeit gestorben und über 60 Arbeiter erlitten bleibende Behinderungen. Es kam in dieser Zeit zu mehr als 350 Arbeitsunfällen. Keine der betroffenen Familien erhielt eine Entschädigung. Am meisten verdienen die Kranführer mit Löhnen zwischen rund 500'000 – 800'000 Pesos (220 – 350 US$) in 14 Tagen, wobei allerdings wieder über 100'000 Pesos Abzüge kommen. Ihnen folgen die Träger mit rund 300'000 – 400'000 Pesos in 14 Tagen, welche mit purer Körperkraft die Fracht ein- und ausladen. Doch viele Arbeiter kommen nicht einmal auf 200'000 Pesos, womit sie unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimallohn bleiben.
Rund 2'000 Sattelschlepper befahren täglich die Strasse von Buenaventura nach Cali, beladen mit Gütern für den Export oder importierten Waren. Doch von diesem Reichtum ist nichts sichtbar in dieser feuchtheissen Stadt am Pazifik. Die Stadtviertel wuchern ohne jede Planung an den Rändern der Stadt in den Urwald hinein. Armselige Siedlungen, oft ohne fliessendes Wasser, Abwasserentsorgung und Strom. Bei einigen Invasionen haben die Paramilitärs ihre Hände im Spiel. Vor allem wenn es um Gebiete geht, welche an das Meer angrenzen. Rund 500'000 EinwohnerInnen zählt die Stadt nach offiziellen Angaben. Verlässliche Quellen geben zu bedenken, dass rund ein Fünftel der BewohnerInnen bei der Volkszählung gar nicht erfasst wurde. Auf 10'000 EinwohnerInnen kommen zwei Ärzte; ein Fünftel der BewohnerInnen sind Analphabeten und die Lebenserwartung in der Stadt beträgt ganze 51 Jahre.
Rund 60% der arbeitsfähigen Bevölkerung ist arbeitslos. Da ist die Versuchung gross, sich im Drogenhandel etwas zu verdienen. 300'000 Pesos (rund 130 US$) werden für den Transport von chemischen Substanzen angeboten, die zur Herstellung von Kokain benötigt werden. Eine Million Pesos (rund 438 US$) gibt es für den Transport von Kokain auf die im Hafen ankernden Schiffe und 20 Mio. Pesos (rund 8753 US$) für die Fahrt in Schnellbooten nach Mexiko und Guatemala, den wichtigsten Bestimmungsorten des Kokains. „Die Jungen verkaufen ihr Herz für ein paar Pesos an die Drogen. Das Traurigste daran ist, dass sie dabei nicht einmal reich werden. Sie sind nur das Glied in dieser Drogenkette, welches am meisten riskiert – das Leben – und am wenigsten verdient“, klagt eine Mutter, deren Sohn vor einem halben Jahr getötet wurde.[i]
Der Kampf um die Kontrolle der Stadt: Ein Genozid
Nach Aussagen von sozialen Organisationen sind seit 1998 über 4'000 Menschen in Buenaventura ermordet worden. 1998 hatte ein Zivilstreik den Hafen fünf Tage lang lahm gelegt. Der Streik richtete sich gegen die unhaltbare soziale Situation der Stadt und die hohe Verschuldung. Ein mit der Regierung vereinbartes Abkommen sah u.a. die Schaffung von Arbeitsplätzen und Schulen und die Verbesserung der Infrastruktur vor. Bitter vermerkt eine soziale Führungsperson: „Wäre das mit der Regierung ausgehandelte und von ihr unterzeichnete Abkommen wirklich umgesetzt worden, sähe unsere Stadt heute anders aus und wir stünden nicht diesen Problemen gegenüber.“ Wie üblich blieb auch dieses Abkommen uneingelöst.
Dafür verstärkte sich der Einfluss der bewaffneten Akteure auf die Stadt, Paramilitärs im Verbund mit der Armee auf der einen Seite und Guerilla auf der anderen. Dies nicht zuletzt, weil der Hafen durch die Öffnung gegenüber dem Pazifikraum (China, Japan) an Bedeutung gewann und immer klarer wurde, welche Rohstoffe die Pazifikküste selber barg. Dann aber ging es auch um die Kontrolle der Drogenrouten. Und wo Drogen gehandelt werden, ist auch der Waffenhandel nicht fern. Buenaventura mit den vielarmigen, schwer kontrollierbaren Buchten und dem wichtigen Überseehafen spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Die Stadt wurde militarisiert. Auch heute ist in Buenaventura die Präsenz der Sicherheitskräfte unübersehbar. Zu mehr Sicherheit hat dies nicht geführt. Im Gegenteil, die Zahl der Morde hat dramatisch zugenommen. Der Bloque Calima der Paramilitärs setzte sich in der Stadt fest und übernahm immer mehr die Kontrolle über die Stadtviertel und die Zugänge zum Meer. Aber auch die 30. Front der FARC war mit Milizionären in der Stadt präsent und wollte ihren Einfluss nicht preis geben. Armee und Sicherheitskräfte, Paramilitärs und Guerilla machten sich die Kontrolle der Drogenausfuhr – und der Waffeneinfuhr – strittig. Alle bewaffneten Akteure wollten die Stadtviertel und den Zugang zum Meer kontrollieren und Jugendliche rekrutieren. Aufgrund der desolaten sozialen Situation und dem Fehlen jeglicher Perspektive hatte diese Verlockung – wie auch die Versuchung des „leichten Geldes“ durch den Drogenhandel – eine gewisse Macht.
Auch nach der vermeintlichen Demobilisierung des Bloque Calima ist die Präsenz der Paramilitärs weiterhin allgegenwärtig, wenn auch diskreter. „Die Demobilisierung ist blanker Hohn“, wird oft versichert. Die Nähe von Paramilitärs und Sicherheitskräften ist vielfach belegt und im Alltag offensichtlich. Heute üben die Paramilitärs eine soziale, politische und wirtschaftliche Kontrolle aus, die weit über den Drogenhandel hinaus geht. So erheben sie auf die Markstände Steuern. Und die Mordrate ist keineswegs kleiner geworden.
Längst nicht alle, die in diesem schmutzigen Krieg fallen, haben etwas mit den bewaffneten Akteuren oder Drogen zu tun. Besonders schmerzlich zeigte dies das Massaker an 12 Jugendlichen und dem Verschwindenlassen von weiteren zwölf am 19. April 2005. Ein Mann fuhr auf einem Motorrad vor und lud 24 Jugendliche zu einem Fussballspiel ein. Der Gewinnermannschaft wurden 200'000 Pesos in Aussicht gestellt. Zwei Tage später wurden 12 Jugendliche – alle zwischen 15 und 22 Jahre alt – gefesselt, gefoltert, mit Säure verätzt und durch einen Schuss in den Nacken getötet in einer Bucht im Viertel El Triunfo aufgefunden. Von den anderen 12 Jugendlichen fehlte – und fehlt bis heute – jede Spur. Keiner der Jugendlichen hatte etwas mit den bewaffneten Akteuren oder mit Drogen zu tun. Im Gegenteil: Einige der Jugendlichen waren in sozialen Organisationen aktiv und hatten zwei Wochen vorher an einem Protestmarsch des Viertels teilgenommen, wo der Bau einer Fussgängerbrücke gefordert worden war. Vier der ermordeten Jugendlichen waren zudem Neffen eines bekannten sozialen Führers aus dem Fluss Yurumanguí, dessen Familie systematisch bedroht und ermordet wurde. Aufgrund der völligen Straflosigkeit und der Untätigkeit der kolumbianischen Behörden wurde der Fall der Interamerikanischen Menschenrechtskommission unterbreitet und um Schutzmassnahmen nachgesucht.
Das abscheuliche Massaker führte zu einem Aufschrei in der Stadt. Doch seither gehen die selektiven Morde und Massaker weiter. Nach offiziellen Angaben sind zwischen 2000 und 2005 insgesamt 2644 Personen ermordet worden. Allein im Jahr 2006 wurden bis zum 11. November 305 Morde registriert. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiss niemand. (Eine andere Quelle verzeichnet 435 Morde.) Und auch über die Zahl der Verschwundenen schweigen sich alle aus. Sie ist hoch, sehr hoch, aber niemand wagt sie auch nur zu schätzen. „Die Angst hat diese Stadt fest in ihrem Griff. Und die Angst macht, dass alle schweigen.“ Dies sagen viele. „Hier kannst du niemandem trauen. Wie kannst du eine Anzeige bei der Polizei machen, wenn du weisst, dass die Polizei selber den Paras mitteilt, wer die Anzeige eingereicht hat?“ gibt eine Frau zu bedenken. Es wird von entlegenen Buchten geredet, wo Verschwundene an den Bäumen aufgehängt werden, den Geiern zum Frass. Der Zugang zu diesen Orten werde von den Sicherheitskräften verwehrt. Auch seien Buchten bekannt, wo Tote ins Meer geworfen würden.
Einen neuen, bisher unvorstellbaren Höhepunkt erreichte die Gewalt im September 2006, als auf einen Beerdigungszug geschossen wurde. Fünf Personen starben, weitere wurden verletzt. Für die Menschen in Buenaventura war dies ein Schock, von dem sie sich kaum erholen konnten. Der Respekt vor der Trauer und der Solidarität der Familie mit dem Toten ist den Schwarzen heilig. Dies nicht mehr zu respektieren, wird als Angriff der Bewaffneten auf ihre Identität verstanden.
Die Bevölkerung ist dieser Situation schutzlos ausgeliefert. Auch die Presse wird zum Schweigen gebracht. Der Journalist William Soto Cheng wurde ermordet. Andere mussten die Stadt aufgrund der Drohungen verlassen – so wie Tausende von Vertriebenen, die aufgrund der Gewalt die Stadt und deren Umgebung verlassen mussten.
Buenaventura ist heute wohl eine der Städte Kolumbiens – und der Welt – mit der höchsten Gewaltrate, vielleicht vergleichbar mit Medellin Ende der 80er und anfangs der 90er Jahre. Allerdings mit dem grossen Unterschied, dass sich das Drama in Buenaventura unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit abspielt. Es ist kein Thema in der kolumbianischen noch internationalen Presse. Die Angst und das Schweigen halten die Stadt in ihren tödlichen Klauen. Wer dagegen verstösst, lebt gefährlich.
Buenaventura zeigt die Fratze der Globalisierung: Der Kampf um die Kontrolle eines wichtigen Hafens und von Handelsrouten wird auf dem Buckel unbeteiligter Zivilpersonen. Vom Reichtum, der durch diesen Hafen fliesst, bleibt in der Stadt nur die Spur von Elend, Gewalt, mafiöser Strukturen und Korruption.
[i] Der Bericht beruht auf Gesprächen bei meinem Besuch im Oktober 2006 in Buenaventura. Ebenso dienten als Quellen Berichte der Comisión Intercongregacional Justicia y Paz; des Proceso de Comunidades Negras PCN, El Espectador, 10. Sept. 06; El Tiempo, 8. Nov. 06 ; Revista Semana ; Diario Las Américas, 13. Nov. 06; Semanario Virtual de Viva la Ciudadania
Fachstelle Frieden und Menschenrechte
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