Thursday 29 November 2007

Mit Vollgas in den Hunger – Brot statt Agrotreibstoffe, zum Zweiten

Meine Liebe, mein Lieber

Im Folgenden möchte ich Dir/Euch erklären, weshalb ich stolz darauf bin, zu ask! – Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien – zu gehören und an unserer am 21.11.07 lancierten Kampagne gegen Agrotreibstoffe mitzuwirken.

Mit ausdrücklicher Genehmigung des Verfassers stütze mich dabei ausgiebig auf einen Text von Bruno Rütsche, Fachstellenleiter Menschenrechte der ask!


„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ – „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ – „Jeder Mensch hat das Recht auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und Wohnung sowie auf Gesundheitsfürsorge und das Recht auf Bildung und Teilhabe am kulturellen Leben.“

Sicher kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor. Sie sind Teil der Allgemeinen Menschenrechte, auf die alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Sprache, Religion oder Nationalität Anspruch haben. Die Menschenrechte – 1948 nach dem Schrecken des 2. Weltkrieges proklamiert – sind heute so visionär wie damals. Denn uns allen ist klar, wie weit wir von der Utopie entfernt sind, dass alle Menschen gleich an Würde und Rechten sind. Utopien haben aber eine grosse Kraft. Sie sind wie Leitsterne, deutliche Ziele, die wir uns vor Augen halten und an die wir uns erinnern. Die Menschenrechte können nicht genug betont werden – denn sie machen klar, dass nationaler Egoismus, Rassismus, Diskriminierung aufgrund von Nationalitäten, Herkunft, Religion oder Geschlecht ein Verstoss gegen die unveräusserliche Würde und die Rechte eines jeden Menschen sind.

„Mit Vollgas in den Hunger – Brot statt Agrotreibstoffe“. So lautet der Slogan einer Kampagne, die die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask – unterstützt von zahlreichen weiteren Organisationen – am 21. November 2007 gestartet hat. Was hat dies mit Menschenrechten zu tun? werden Sie sich fragen. Sehr viel. Doch lassen Sie mich erzählen:

Vom 15. bis 23. Februar 2007 fand im Nordwesten Kolumbiens eine „ökologische Pilgerreise“ zum Schutz der einheimischen Gemeinschaften statt. Afrokolumbianische und indigene Organisationen und die kirchliche Menschenrechtsorganisation Justicia y Paz – Gerechtigkeit und Friede – hatten dazu eingeladen. Auf dieser Pilgerreise befanden sich auch internationale Teilnehmer – darunter auch zwei Mitglieder der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien ask.

Anlass der Pilgerreise bildete der 10. Jahrestag der Operation „Genesis“. Entgegen ihrem Namen hatte diese Militäroperation nichts mit Schöpfung zu tun, sehr viel aber mit Vernichtung und Mord.

Zahlreiche Zivilpersonen verloren bei der Bombardierung der Dörfer ihr Leben. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen die aufständische Guerilla wurden über 20'000 Zivilpersonen – Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer, Betagte – gewaltsam und brutal von ihrem Land vertrieben.

Nach der Vertreibung wurde deutlich, dass es die Armee nicht in erster Linie auf die Guerilla abgesehen hatte, sondern dass hinter der Vertreibung handfeste wirtschaftliche Interessen standen. Denn als die ursprüngliche Bevölkerung weg war, wurde ihr Land illegal in Besitz genommen. Tausende von Hektaren Regenwald wurden abgeholzt und riesige Flächen mit industriell angelegten Zuckerrohr- und Ölpalmplantagen bebaut. Wo früher kleinbäuerliche, der Umwelt angepasste Landwirtschaft inmitten des Regenwaldes betrieben wurde, dehnt sich jetzt eine endlose, monotone „grüne Wüste“ mit Ölpalmen in Reih und Glied aus. Bewaffnete paramilitärische Gruppen bewachen gemeinsam mit dem Militär die Plantagen.

Trotz des Landraubs und massiver Einschüchterungen kehrten einige Gemeinschaften wieder in die Region zurück und verlangten die Rückgabe ihres rechtmässigen Landes. Zum Schutz und zum Zeichen ihres friedlichen Widerstandes gegen den Krieg und die Zerstörungen der Agrounternehmen erklärten sie sich zu „humanitären Zonen“.

Die Pilgerreise wollte nicht nur an das Leiden erinnern, das die Militäraktion 1997 auslöste. Die Pilgerreise wollte vor allem auf die schwierige Situation der Gemeinden aufmerksam machen und ihren gewaltlosen Kampf um ihre Landrechte unterstützen.

Erste Station war nach einer langen und beschwerlichen Busfahrt die Familie Rentería. Sie war im April 2006 zurück gekehrt und versucht nun, dem Boden wieder Leben einzuhauchen. In einem symbolischen Akt pflanzten wir gemeinsam mit der Familie zehn verschiedene Nahrungspflanzen – für jedes Jahr der Vertreibung eine Pflanze.

Zweite Station war nach etwa einer Stunde Fussweg der Bauernhof von Enrique Petro. Enrique Petro weigert sich standhaft, sein Land zu verlassen – trotz des massiven Drucks der grossen Palmenanbaugesellschaft Urapalma, der Ermordung seines Sohnes und der Drohungen gegen sein Leben durch die paramilitärischen "Schwarzen Adler". Von seinen rund 130 Hektaren Land konnte er etwa 30 Hektaren vor der Bepflanzung mit Ölpalmen retten. Die kleinen Felder mit Bohnen, Yucca, Chili, Zuckerrohr, Bananen und vielen anderen Pflanzen für die tägliche Ernährung erscheinen wie eine Oase in der Eintönigkeit der Ölpalmplantagen.

Eine weitere Station war El Tesoro. Hier war Orlando Valencia, einer der Repräsentanten der Gemeinden dieser Region, im Oktober 2005 in Komplizenschaft mit der Polizei verschleppt und ermordet worden. In den Gedenkakt am Abend vermischte sich die traurige Erinnerung an vielfach erlittenes Leid und Unrecht mit der Freude und der Dankbarkeit der Bevölkerung von El Tesoro über unseren Besuch.

Was aber hat nun dies mit einer Kampagne mit dem Titel „Mit Vollgas in den Hunger – Brot statt Agrotreibstoffe“ zu tun?

Dieser Landraub ist nur ein Beispiel. In Kolumbien haben sich bewaffnete Gruppen mit der Unterstützung von Armee und staatlichen Sicherheitskräften und der Zustimmung von Politikern Millionen von Hektaren fruchtbares Land gewaltsam angeeignet. Darauf werden nicht mehr Nahrungsmittel für die Menschen angebaut, sondern für die Produktion von Treibstoffen. Menschen werden gewaltsam vertrieben. In Kolumbien sind rund 4 Mio. Menschen im eigenen Land zu Flüchtlingen geworden und haben alles verloren. Entrechtet, entwurzelt und entwürdigt leben sie in Elendsvierteln der Städte. Zum Verlust ihres Landes kommt die Zerstörung ihrer sozialen und kulturellen Identität und die permanente Angst vor weiterer Verfolgung. Traumatisiert, gemieden und stigmatisiert fristen sie ein Dasein unter aller Menschenwürde. Und dies unter anderem, weil ihr Land für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet wird, die nicht auf den Teller der Hungernden kommen, sondern in die Tanks der Fahrzeuge der Reichen. Brot stillt nicht mehr den Hunger. Brot treibt Autos an. Die Menschen hungern.

Auf mehreren Millionen Hektaren Land will die kolumbianische Regierung Ölpalmen anbauen. Die Ölfrucht wird dann zu Agrodiesel verarbeitet. Diese Politik hat grauenhafte Folgen: Vertreibung, Menschenrechtsverletzungen, Landraub, Abholzung, Zerstörung der Artenvielfalt, Hunger. Und ein gieriges Gesicht: Reichtum und Einkommen für Wenige. Die Folgen sind bereits spürbar: Panela, ein Grundnahrungsmittel der Armen aus Rohzucker, ist massiv teurer geworden, da immer mehr Zuckerrohr zu Treibstoff – Ethanol – verarbeitet wird. In Mexiko kam es zu grossen Protesten, da der Mais um ein Vielfaches teurer wurde. Denn die Verarbeitung zu Treibstoff bringt den Maisbauern in den USA mehr ein, als der Verkauf als Lebensmittel. Zur Herstellung einer Tankfüllung aus Mais braucht es die Menge, von der ein Mensch sich ein Jahr lang ernähren könnte. Hunger in Mexiko – volle Tanks in den USA.

Es gibt viele weitere Beispiele. In Indonesien und Malaysia werden Millionen von Hektaren unberührter Regenwald – eigentliche Lungen der Erde – abgebrannt, um Platz für den industriellen Anbau von Pflanzen zu schaffen, die nie auf einen Tisch gelangen und die nie den Hunger eines Menschen stillen werden. Sie werden in den Tanks der Autos landen... Dort wird das Ziel von Treibstoffen aus Agrarprodukten – nämlich die Reduktion der CO2-Emissionen – vollends auf den Kopf gestellt, denn das Abbrennen produziert ungeheure Mengen an CO2.

Unser tägliches Brot gib uns heute, beten wir im Unser Vater. Soll nun Brot Autos antreiben, während immer mehr Menschen hungern? Sollen fruchtbares Land und Regenwald in endlose Monokulturen genveränderter Pflanzen verwandelt werden, nur damit der Treibstoffhunger der Reichen befriedigt werden kann?

Brot ist ein Lebensmittel. Und Lebensmittel gehören auf den Tisch. Jesus lehrt uns auch vielfach, Brot zu teilen. Und im Abendmahl nimmt er Brot als Symbol seines Lebens, seiner Hingabe und seiner Aufopferung. Brot – Symbol für Nahrung und Leben schlechthin. Und jetzt sollen Weizen, Mais, Zuckerrohr, Ölpalmen, Yucca und viele andere Nahrungsmittel nicht mehr dem Menschen als Nahrung dienen, nicht mehr gemeinsam geteilt werden. Nein, jetzt sollen sie in Tanks verbrannt werden, damit Autos ein paar Kilometer zurück legen können.

Verstehen Sie jetzt, warum wir unserer Kampagne den Titel gegeben haben „Mit Vollgas in den Hunger – Brot statt Agrotreibstoffe“?

„Jeder Mensch hat Recht auf ausreichende Ernährung.“ So heisst es in der Erklärung der Menschenrechte. Diese Worte sind aktueller den je!

© Bruno Rütsche, leicht redigiert von Margret Powell-Joss


Mehr zum Thema Agrotreibstoffe findet sich auf http://www.agrotreibstoffe.ch

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