Meine Liebe, mein Lieber
Heute gehts nicht direkt um Kolumbien, aber wichtig ist dieser Artikel allemal, obschon auch er von "Biokraftstoffen" statt "Ag(g)rokraftstoffen spricht und damit in unseren Köpfen falsche Assoziationen hervorruft.
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Der Preisschock
Von KIRSTEN BRODDE, Greenpeace Magazin
GPM 6/07 - Lebensmittel werden deutlich teurer. Dass die Preise bald wieder sinken, ist nicht zu erwarten. Denn auf den Feldern, deren Früchte die Menschheit ernähren sollen, wachsen vermehrt Energiepflanzen für Biokraftstoffe heran.
Im Sommer 2007 lagen in Deutschland die Nerven blank. Ständig rechnete die Nation mit einer neuen Preisoffensive. Erst schraubte sich der Preis für einen Liter Vollmilch auf über 60 Cent hoch, dann überstieg das halbe Pfund Butter deutlich die Ein-Euro-Marke. Und als Aldi schließlich vorpreschte, mehrere hundert Produkte und damit fast die Hälfte des Sortiments verteuerte, kam es wie in Zeiten der Inflation zu Hamsterkäufen.
"Liebe Milch, liebe Butter, ich freue mich, dass ihr teurer werdet. Ihr wart ja schon nichts mehr wert", schrieb zwar der Kolumnist der Bild-Zeitung, Franz Josef Wagner. Mit dieser Haltung stand er bei seinen Lesern aber ziemlich alleine da. Empört beschwerten sich viele Deutsche bei Verbraucherzentralen über "Abzocke". Schwarzseher befürchteten bereits die Flaute im Kühlschrank.
Eine Wählerumfrage ließ ahnen, welche Brisanz auch für die Bundesregierung in dem Thema steckt. "Butterpreise kosten Union Stimmen", meldete Spiegel Online das Ergebnis. Ein paar Tage später stand Kanzlerin Angela Merkel in Berlin bei Edeka an der Kasse, kramte im Portemonnaie und bewies Hausfrauenwissen in puncto Lebensmittelpreise. Bild-Kolumnist Wagner verfasste eine Liebeserklärung: "Sie ist eine einfache Frau, eine Traumfrau, eine Frau im Supermarkt."
Kurioser noch mutet der Pasta-Streik an, den Verbraucherverbände in Italien kürzlich ausriefen, um gegen Preissprünge bei Nudeln zu protestieren. "Basta Pasta" hieß es am 13. September; einen ganzen Tag lang sollten die Italiener ihre Nationalspeise boykottieren. Die Lebensmittelindustrie zeigte sich unbeeindruckt: "Das bleibt ohne Folgen", erklärte ein Vertreter der Nudelfirma De Cecci.
Andernorts stellen hohe Lebensmittelpreise die Menschen vor wirklich existenzielle Probleme. So mussten die Brasilianer im ersten Halbjahr 2007 dreimal so viel für ihre Ernährung ausgeben wie im selben Zeitraum des Vorjahres. Und in Mexico City kam es im Frühjahr zu Massendemonstrationen, weil Maismehl, Grundstoff der Tortillas, seit Jahresbeginn fast doppelt so teuer geworden war. Die Maisfladen gehören vor allem in armen Haushalten zu fast jeder Mahlzeit. Die Demonstranten beschimpften ihren neu gewählten Präsidenten, den Konservativen Felipe Calderón: "Calderón ist ein Mörder, weil er will, dass wir verhungern", hieß es auf Plakaten.
Engpässe in Mexico, Preisschocks in Deutschland - was ist geschehen? Leben wir denn nicht im Zeitalter der landwirtschaftlichen Überproduktion, derer man sich noch vor Kurzem mit viel Aufwand entledigen musste? Was ist aus den Butterbergen geworden, wer hat die Milchseen trockengelegt?
An Erklärungsversuchen mangelt es nicht.
Auch das Wetter bot sich als Verursacher an, schließlich war hierzulande das Frühjahr zu trocken und der Sommer zu nass. Die Getreideernte fiel mager aus, weshalb weniger Futter für die Milchkühe zur Verfügung stand und in Folge weniger Milch. Und weil in Australien Dürre herrschte, fiel ein weiterer zuverlässiger Futtermittellieferant aus.
Doch beide Erklärungen greifen zu kurz. Viehfutter wird nämlich vor allem deshalb knapp, weil weltweit der Appetit auf Fleisch wächst. Enorme Mengen von Getreide landen deshalb nicht auf dem Teller, sondern fließen in die Produktion von Steaks und Burgern. Um ein Kilogramm Fleisch zu erzeugen, müssen Mastbetriebe satte fünf Kilogramm Getreide in den Trog kippen.
So trägt der steigende Fleischkonsum maßgeblich dazu bei, dass sich die Getreidelager rund um den Globus leeren und die Vorräte für Notzeiten schwinden: "Die Weltvorräte an Getreide werden am Ende dieser Ernteperiode auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren angelangt sein", stellt der Internationale Getreiderat in London fest. Seit Jahren werde mehr Korn verbraucht als produziert. Und der Klimawandel dürfte die Ernten vielerorts künftig noch kärglicher ausfallen lassen.
Aber noch ein weiteres Phänomen ist verantwortlich für die neue Knappheit, ein Phänomen, dessen Folgen gerade erst beginnen, sich bemerkbar zu machen: die Produktion von Bioenergie anstatt von Lebensmitteln.
Sprit und Brot konkurrieren um den wohl begehrtesten Rohstoff weltweit: Acker. Und weil der Energiepflanzenanbau für die Bauern oft lohnender ist, produzieren sie immer weniger für den Teller und immer mehr für den Tank.
Denn die meisten Industrienationen wollen sich möglichst schnell von Ölimporten unabhängiger machen. Deshalb legen sie große Förderprogramme für Biotreibstoffe auf. Ein Fünftel der US-Ackerfläche dient in diesem Jahr bereits der Ethanolproduktion - der Hauptgrund, warum die Tortillas in Mexiko so teuer geworden sind. Der Bundesstaat Iowa, eine der Kornkammern Nordamerikas, wird demnächst seine gesamte Maisernte an die Kraftstoffdestillen liefern, wenn alle dort geplanten Raffinerien in Betrieb gehen.
Und Europa zieht nach. Im Frühjahr hat sich die Europäische Union verpflichtet, den Biosprit-Anteil am Kraftstoff bis 2020 auf zehn Prozent anzuheben. Diese Entwicklung spürt die ganze Menschheit, denn der Bedarf wird vor allem durch Importe gedeckt.
Getrieben vom Hauptabnehmer Europa weitet etwa Indonesien seine Palmöl-Plantagen aus. Riesige Waldflächen müssen den industriellen Monokulturen weichen, andernorts verlieren Kleinbauern Felder, auf denen sie vormals tropische Früchte wie Durian oder Mangos anpflanzten.
Im Norden und Osten Brasiliens dagegen wachsen die Zuckerrohrplantagen zur Ethanolproduktion. Wer einmal solche Plantagen gesehen hat, bekommt eine Ahnung davon, wie zerstörerisch der Treibstoffdurst geworden ist. Er frisst sich durch ganze Landschaften, zerstört Traditionen und Kultur. Angesichts der gewaltigen Flächen sind Zweifel angebracht, ob die Erzeugung von Biosprit der Umwelt weniger schadet als die Förderung von Mineralöl – zumal die Klimabilanz der Treibstoffe vom Acker nicht wirklich berauschend ausfällt. (siehe GPM 6/06, Biosprit)
Der Bioethanol-Boom, den die Regierung von Präsident Lula nach Kräften anheizt, sei für die Ärmsten lebensbedrohlich, klagt der brasilianische Theologe Frei Betto. Schon jetzt seien 52 Millionen Lateinamerikaner von Unterernährung bedroht. Betto nennt den Agrosprit deshalb "Treibstoff des Todes".
So steuern die vermeintlich umweltbewussten Nationen vorsätzlich auf eine Situation zu, in der Menschen hungern, damit andere fahren können." Das Recht auf Nahrung ist durch den Ausbau der Produktion von Biosprit hochgradig gefährdet", erklärt der UN-Sondergesandte Jean Ziegler und warnt gewohnt temperamentvoll vor schweren Hungersnöten. Ein einfaches Beispiel mag Zieglers Prognose anschaulich machen: Bereits eine Ethanol-Tankfüllung eines Geländewagens verschlingt rund 200 Kilo Mais. Damit kann man einen Menschen ein Jahr lang ernähren.
Während sich in Brasilien, Mexiko und Indonesien die Folgen des Biosprit-Booms bereits deutlich abzeichnen, sind die Experten uneins, ob der fatale Trend auch zu den jüngsten Preissteigerungen in Deutschland beigetragen hat.
"Noch zahlen wir nicht die Zeche für den Biosprit", sagt Thilo Bode von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch in Berlin. Die Verwandlung von Ackerfrüchten zu Kraftstoffen könne aber ein Problem der Zukunft werden, zumal die Brüsseler Agrarpolitik den Anbau nachwachsender Rohstoffe im großen Stil subventioniere.
Auch der Deutsche Bauernverband, der die Landwirte gern als "Ölscheichs von morgen" sieht, wiegelt ab: Nur 1,5 Prozent der deutschen Getreideernte seien in den ersten fünf Monaten des Jahres zu Bioethanol verarbeitet worden, erklärte Generalsekretär Helmut Born bei der Vorstellung des Erntebilanz 2007. Knapp werde nichts. Die 1,1 Millionen Hektar, auf denen hierzulande Raps wächst, gehen in Borns Rechnung freilich nicht ein, denn die Ölsaat wird nicht zu Ethanol verarbeitet, sondern zu Diesel.
Deutlich besorgter als die Bauern gibt sich die Lebensmittelindustrie. Sie gründete eine Allianz gegen Biosprit, um auf die Risiken der Entwicklung aufmerksam zu machen. "In zwei bis vier Jahren kann es zu substanziellen Problemen bei der Ernährung der Bevölkerung kommen", sagt Karl-Heinz Legendre vom Verband der Margarineindustrie. Allerdings steht die Lebensmittelbranche derzeit selbst in der Kritik, weil sie den höheren Preis für Milch, Zucker oder Weizen ausnutzte, um die Preise ihrer Endprodukte wie Bier, Brot, Schokolade oder Eis kräftig heraufzusetzen - obwohl die Kosten der Rohstoffe beim Endpreis gar nicht so stark ins Gewicht fallen. So kostet der Weizen im Brötchen nur etwa einen Cent (siehe Seite 29).
Trotzdem sind die Kassandrarufe der Lebensmittelhersteller keineswegs unberechtigt, wenn man den Blick in die Zukunft richtet. Derzeit dienen in Deutschland etwa zwei Millionen Hektar der Energieproduktion. Bis zum Jahr 2020 sollen es rund 3,5 Millionen Hektar sein - also fast ein Drittel der deutschen Ackerfläche. Dies führe, so das Wuppertal-Institut, zu einer "Verdrängung wettbewerbsfähiger Nahrungsmittelproduktion ".
Zu erwarten steht überdies, dass die Felder mit Energiepflanzen, wie bereits heute die gelben Rapsmeere, umweltschädliche Monokulturen sein werden, mit Dünger gepäppelt und in Pestiziden gebadet. Biosprit aus echtem Bioanbau wäre zwar eine gute Idee, ist jedoch nach Ansicht von Experten wegen zu hoher Kosten Utopie.
Schon reiben sich die Hersteller von Agrarchemikalien die Hände: Bayer CropScience sieht durch den Anbau von Energiepflanzen in Deutschland bis 2015 ein Marktvolumen von vier Milliarden Euro. Schätzungen, die ahnen lassen, dass auch diese Branche von großflächigen Veränderungen im Landschaftsbild ausgeht.
Dem Anbau von ökologischen Lebensmitteln gehen diese Flächen verloren - obwohl die Nachfrage nach Biokost schwindelerregende Zuwächse verzeichnet. Da jedoch die Bundesländer mit Umstellhilfen geizen, steigen viele Bauern statt auf Ökoanbau lieber auf Mais und Raps für Biosprit um, die schon mit der ersten Ernte satte Mehreinnahmen einbringen. Die Folge: Biolebensmittel reisen aus China oder Osteuropa an, Mogeleien sind immer schwerer auszuschließen (siehe Seite 18). So führt der Trend zu Biosprit im Verein mit anderen Einflüssen wie dem steigenden Fleischkonsum dazu, dass Lebensmittel teurer werden, aber keinesfalls besser - im Gegenteil. Die Mehreinnahmen fließen in alle möglichen Taschen, nur nicht in eine umweltverträglichere und gesündere Lebensmittelproduktion.
Und hier liegt die Crux der derzeitigen Debatte. "Wir reden zu viel über teure Lebensmittel und zu wenig über gute Lebensmittel, die ihren Preis auch wert sind", sagt Thilo Bode von Foodwatch. Teuer hieße nicht gut und billig nicht unbedingt schlecht. Schließlich hätten die Lebensmittelskandale der jüngsten Zeit gezeigt, dass auch teure Kartoffelchips schädliches Acrylamid enthielten und kostspieliges Obst mit Pestiziden belastet sei.
So könnten die aktuellen Preissprünge - auch wenn sie nichts mit verbesserter Qualität zu tun haben - zumindest ein Anlass sein, über zwei zentrale Fragen nachzudenken: Was sind uns unsere Lebensmittel wert? Was sind wir bereit, für gute und gesunde Ernährung zu zahlen? Sollte der Schock im Supermarkt diese längst überfällige Debatte angezettelt haben, ist viel gewonnen.
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Monday, 15 October 2007
Was sind uns unsere Lebensmittel wert?
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