Tuesday 11 September 2007

Glencore-Geschäftsgebaren u.a. in Kolumbien - http://www.trend.drs.ch

Der heutige Radio-Tipp -- Radio DRS 1: «Trend - Das Wirtschaftsmagazin»

(Un-)heimliche Glencore AG


[Trend, 08. September 2007, 08.30-08.45 h, DRS 1]

Online Aufhänger:

Was unter Marc Rich als Rohstoffhändler begann, hat sich unter der Firmenbezeichnung «Glencore» zum weitaus grössten Schweizer Unternehmen mit Niederlassungen auf allen Kontinenten entwickelt. «Glencore» ist der verschwiegenste unter allen europäischen Grosskonzernen. Wenn der Rohstoffmulti dennoch von sich reden macht, dann wegen Streiks, Entlassungen oder Verstaatlichungen in Lateinamerika.

«Trend» berichtet über den auf Diskretion bedachten Rohstoffgiganten aus Baar bei Zug.
[Eine Sendung von] Rainer Borer

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SENDUNG [Transkript: Margaret Powell]

"Nuestra respuesta es, primero queremos saber quién es Glencore" – "Zuerst möchten wir wissen, wer ist Glencore?" In Bolivien wurde eine Glencore-Mine verstaatlicht. Über Entschädigungen sprechen will der Bolivianische Handelsbeauftragte Pablo Solón jedoch erst, wenn er weiss, wer hinter der in Baar bei Zug domizilierten Rohstoffgesellschaft steckt, dem notabene vom Umsatz her grössten Unternehmen der Schweiz. In der Zentrale des verschlossenen Rohstoffhändlers und Minenbesitzers in Baar stellt man sich taub; Interviews gibt man nicht. – Glencore und die heimlichen – oder vielleicht gar unheimlichen? – Geschäfte: Thema heute im Trend. Am Mikrophon: Rainer Borer.

Glencore International ist der grösste unter den Schweizer Konzernen. Der Rohstoffmulti übertrifft umsatzmässig bei weitem sogar den Nahrungsmittelgiganten Nestlé, und mit Riesenschritten weiten die Baarer Rohstoffähndler ihr Imperium aus. In nur zwei Jahren haben sie ihren Umsatz verdoppelt. Und das ist schon fast alles, was der geheimnisumwitterte Konzern Glencore der Öffentlichkeit preisgibt.
Markus Mugglin hat sich auf Spurensuche gemacht und stellte fest, dass Glencore auf der ganzen Welt mehr von sich reden macht, als dem Unternehmen recht sein kann.

Markus Mugglin:
Das Deutsche Managermagazin publizierte im Frühjahr sein neuestes Good Company Ranking über die 120 grössten Konzerne Europas. Die Rangliste bewertet, wie rentabel, sozial und zugleich umweltbewusst die Unternehmen sind. Renommierte Konzerne schmücken die ersten Plätze: das Pharmaunternehmen BASF, der deutsche Waschmittel- und Kosmetikkonzern Henkel und die britische Anglo-American.
Die Grossbank UBS folgt als erstes Schweizer Unternehmen an sechster Stelle. Ins vorderste Drittel der geprüften Unternehmen bringen es auch Roche und Nestlé. Ganz am Schluss der Good Company Rangliste steht Glencore. Der Rohstoffmulti aus Baar bei Zug erhielt von allen 120 die schlechtesten Zensuren. Von maximal 100 Punkten schafft Glencore gerade mal 1,5 – noch deutlich weniger als Aldi und Lidl, die unmittelbar davor rangieren.
Klaus-Rainer Kirchhoff von der gleichnamigen Consulting-Firma, der die Untersuchung zusammen mit dem Beratungsunternehmen Deloitte im Auftrag des Manager-Magazins durchführte, begründet, weshalb Glencore schlechter als alle anderen abschneidet:
KRK am Telefon: "Wir haben für die Auswertung und Bewertung der Unternehmen alle verfügbaren Quellen herangezogen und zusätzlich die Unternehmen angeschrieben und darum gebeten, dass sie uns darüber hinausgehend Material zur Verfügung stellen. Wir haben von Glencore nichts erhalten, und das was in der Öffentlichkeit zugänglich ist, ist völlig aussagelos. … Wir haben deshalb zu den entscheidenden Fragen und Kriterien keine Informationen gefunden. Das ist der Grund, weshalb das Unternehmen ganz unten gelandet ist. …"
Abgeschlagen auf Platz 120. Wie reagiert man in der Glencore-Zentrale auf das vernichtende Urteil? Darüber hätten wir gerne mit den Verantwortlichen in Baar gesprochen. Doch zum Gespräch kam es nicht. Glencore teilte lediglich per Mail mit: "Glencore ist ein privat gehaltenes Unternehmen und nicht verpflichtet, öffentlich Bericht zu erstatten."
Klaus-Rainer Kirchhoff lässt diesen Grund nicht gelten: Viele andere, nicht an der Börse kotierte Unternehmen gäben Einblick in ihr Geschäftsgebaren und sähen ein, dass sie unabhängig von ihrer Rechtsform und Eigentumsverhältnissen gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig seien:
KRK: "Ein Unternehmen, was so bedeutsam ist, was indirekt und direkt über 50'000 Menschen beschäftigt, hat einfach auch eine Verantwortung, Transparenz zu schaffen, Vertrauen zu schaffen, Akzeptanz zu schaffen, und dem kommt dieses Unternehmen überhaupt nicht nach."

Glencore war lange Zeit nur Rohstoffhändler. Seit ein paar Jahren investiert das Unternehmen aber massiv in die Rohstoffproduktion. Es produziert Rohöl und Kohle und baut Kupfer, Zink, Nickel und weitere Metalle ab. Das aus dem Steuerparadies Zug dirigierte Unternehmen hält Beteiligungen auf allen Kontinenten, ist in einem Dutzend Länder präsent und beschäftigt weltweit 50'000 Personen, allein in Kasachstan 20'000. In Südamerika und Afrika stehen je rund 10'000 im Solde des Rohstoffmultis.
Doch die Expansion ins Minengeschäft bringt Glencore wiederholt in Konflikt mit Einheimischen – in Bolivien zu Beginn des Jahres gar mit der Regierung. Boliviens Präsident Evo Morales nationalisierte per Dekret das Erzschmelzwerk von Glencore – offizielle Begründung: Glencore habe das Werk nicht rechtmässig erworben. Das Zuger Unternehmen bestreitet das und fordert, nach der Enteignung zumindest entschädigt zu werden. Bolivien will nicht darauf eintreten. Man wolle klären, unter welchen Umständen Glencore das Schmelzwerk gekauft habe, bevor über eine Kompensation verhandelt werde, gibt der Handelsbeauftragte der bolivianischen Regierung, Pablo Solón, zu verstehen:
PS: "Antes de hablar de cualquier indemnización, primero tenemos que esclarecer la verdad. Porque no puede haber indemnización sobre la base de hechos absolutamente obscuros."
Und eine Kompensation könne es nur geben, sofern der Kauf der Mine rechtmässig erfolgt sei.

Nicht nur in Bolivien, auch anderswo kam es in Niederlassungen von Glencore und des Rohstoffkonzerns Xstrata, an der Glencore ein Drittel hält, zu Konflikten: In Peru, in Argentinien, in Sambia, und vor allem in Kolumbien. Mal waren es Arbeitskonflikte mit Entlassungen und Streiks, andere Male gab es Streit mit der lokalen Bevölkerung.
Stephan Suhner von der Arbeitsgruppe Kolumbien-Schweiz [sic, sollte eigentlich Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien heissen] hielt sich während eines Monats im Norden von Kolumbien auf, wo er in La Jagua Zeuge eines Arbeitskonflikts in der von Glencore kontrollierten Kohlemine wurde:
StS: "Am Tag als wir in Kolumbien angekommen sind, hat eine Tochterfirma von Glencore 117 Arbeiter entlassen. Das waren Arbeiter einer Temporärfirma. Deren Vertrag wurde von einem Tag auf den andern aufgekündigt ohne Angabe von genauen Gründen. Die entlassenen Arbeiter haben dann einerseits die Zugänge zur Mine blockiert, andererseits haben 30 Arbeiter innerhalb der Mine protestiert."
Der Konflikt eskalierte, kolumbianische Sicherheitskräfte gingen gewaltsam vor, Menschen wurden verletzt. Schliesslich hat das Unternehmen einen Teil der Belegschaft wieder eingestellt. Über das Schicksal der übrigen Arbeiter wird noch verhandelt.

Stephan Suhner reiste als Mitglied einer internationalen Delegation nach Kolumbien, die sich für die Rechte indigener Einwohner und für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Minen einsetzt. Seit Jahren engagieren sich Nichtregierungsorganisationen aus mehreren Ländern dafür, und legen dabei ein besonderes Augenmerk auf das Verhalten der multinationalen Konzerne aus den USA, aus Australien, und auch von Glencore. Der Schweizer Multi ist in Kolumbien vor 11 Jahren ins Bergbaugeschäft eingestiegen:
SS: "Glencore hat 1996 ein Handelsunternehmen aufgekauft, das auch Beteiligungen an Kohlenminen hatte, war dann während mehreren Jahren beteiligt an der grössten offenen Kohlenmine im Norden Kolumbiens, in El Cerrejón, und hat 2004 begonnen, vier weitere kleinere Kohlenminen im Nachbardepartement aufzukaufen und ist jetzt … im Kohlensektor relativ gut positioniert."

Der Aufstieg von Glencore zum wichtigen Kohleproduzenten war begleitet von Konflikten. Dorfgemeinschaften wurden vertrieben und zerstört. Es wurden zwar Entschädigungen angeboten, doch sie reichten meist nicht aus, eine neue Existenz aufzubauen. Eingeborene wehrten sich, wollten nicht weichen, wurden gewaltsam vertrieben, es gab Verletzte und gar Tote. Und noch mehr Ungemach droht, denn Kolumbien will in Kürze zum weltweit drittwichtigsten Kohleanbieter aufsteigen. Der Begbau wird noch mehr Böden beanspruchen. Für das Land bedeutet das hohe Deviseneinnahmen, weshalb ausländische Investoren hoch willkommen sind.

Der lokalen Bevölkerung bringt der Kohleboom allerdings wenig, hat Stephan Suhner bei seinem jüngsten Aufenthalt in der Bergbauregion erneut feststellen müssen:
SS: "Das Dorf, wo Glencore die Mine betreibt, ist etwa das zweit- oder drittreichste Dorf Kolumbiens, nur sieht man davon nichts. Das Dorf ist so arm wie jedes andere Dorf in Kolumbien: kein Trinkwasser, der Strom geht immer wieder weg, die Kindersterblichkeit ist enorm hoch, Umweltbelastung – es sind Dörfer, die mitten im Reichtum existieren, aber selber total arm sind und [wo] die Korruption eigentlich alle Gelder wegfrisst."

Da verwundert es nicht, dass die lokale Bevölkerung und die Mineure unzufrieden sind, immer wieder aufbegehren und versuchen, Bergbaukonzerne wie Glencore unter Druck zu setzen. Doch die Arbeiter und ihre Gewerkschaften haben das gleiche Problem mit Glencore wie Journalisten oder Unternehmensberater, die mehr über die Geschäftspolitik des Rohstoffunternehmens wissen möchten. Das hat Stephan Suhner bei seinem jüngsten Aufenthalt in Kolumbien erneut erfahren:
SS: "Die Arbeiter beschweren sich darüber, dass sie mit Glencore selbst noch gar nie gesprochen haben, dass Glencore für sie kein Gesicht hat. Aber man weiss natürlich, dass Marc Rich einer der Gründer war, und sie haben ein relativ schlechtes Bild von Glencore, ohne die Firma wirklich zu kennen."

Stephan Suhner ist einer der wenigen Aussenstehenden, dem vergönnt war, mit Glencore-Verantwortlichen reden zu können. Er hat in Kolumbien lange um ein Gespräch gebeten – vergeblich, hat er bereits gedacht. Doch am Tag vor seiner Abreise wurde er doch noch empfangen:
SS: "Ich war darüber sehr überrascht. Ich hatte es nicht erwartet. Die beiden Personen haben sehr betont, dass sie neu in der Region sind, dass sie die Sachen besser machen wollen. Sie haben versprochen, mehr Leute direkt einzustellen, zu besseren Bedingungen. Sie wollen soziale Institutionen fördern in der Region. Also in dem Sinn, wenn man sie mal beim Wort nehmen möchte, sehr positiv."
Doch ob es mehr als nur Versprechen sind, wird sich weisen. Stephan Suhner hofft es, bleibt aber skeptisch. Er wird jedenfalls genau beobachten, wie es weitergeht – als Sekretär der Arbeitsgruppe Kolumbien-Schweiz [sic] und zusammen mit NROs aus den USA und anderen Ländern. Und bricht in Kolumbien der Streit wieder aus, werden sie wieder protestieren und öffentlich Druck machen und versuchen, den Arbeitern Rückhalt zu geben.

Doch zurück in die Schweiz: Hier, in der Glencore-Zentrale in Baar, gelten wieder die bekannten Verhaltensregeln. Dem Journalisten war es nicht vergönnt, mit Glencore-Vertretern zu reden. Per Mail wurde ihm nur beschieden: "Nach unserer Meinung haben die Unternehmen die Verantwortung, richtig zu handeln, anstatt über Verantwortung zu berichten."

Das befriedigt nicht nur den Berichterstatter nicht. Auch Klaus-Rainer Kirchhoff von der Kirchhoff-Consulting erwartete mehr von einem bedeutenden Rohstoffkonzern, wie Glencore einer ist:
KRK: "Was den Umgang mit den Mitarbeitern angeht, was die Wahrnehmung von gesellschaftlicher Verantwortung angeht, was den Bereich Umwelt angeht, da ist es eigentlich relativ egal, ob ein Unternehmen an der Börse ist oder nicht. Es hat darüber Rechenschaft abzulegen, und es hat da auch Verantwortung zu übernehmen."
Doch, ob der Appell in der Zentrale gehört wird? Man wird es sehen, wenn sich Klaus-Rainer Kirchhoff zusammen mit seinen prominenten Juri-Mitgliedern, wie dem langjährigen ehemaligen Nestlé-Chef Helmut Maucher und dem ehemaligen Chef des UNO-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, daran macht, sein nächstes Good Company Ranking zu erstellen.

Man kann gespannt sein, ob Glencore auch dann wieder, weniger als alle anderen Grosskonzerne Europas, in seine Geschäftsbücher und Praktiken blicken lässt.

Absage: Der heimliche Rohstoffriese Glencore und sein unheimliches Geschäftsgebaren – das war der Beitrag von Markus Mugglin.
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Zur Zeit zu hören auf http://www.trend.drs.ch

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