Saturday, 27 January 2007

Soziale Bewegungen: Von Frauen, Ziegelsteinen, Schleiern und Stühlen...

„Schau auf die Strasse. Wie können Sie so gefühllos sein gegenüber diesem Strom von Gebeinen, von Träumen, von Blut – diesem grossen Strom?“ – Nicolas Guillén

Wie an jedem Sonntag ging sie auch am 10. Dezember 2006 aus dem Haus, um an der 7. Strasse in Bogotá die Schaufenster zu bestaunen, die so sorgfältig hergerichtet sind, um glauben zu machen, Haben sei Sein. Sie ging aber auch aus dem Haus, um die Kreativität all der Arbeitslosen und ÜberlebenskünstlerInnen zu geniessen, welche sich über ihr eigenes Elend lustig machen, ZuhörerInnen und Geldstücke anlocken, und um zu versuchen, die Drohung zu vergessen, die sich Jahr für Jahr über ihr und Millionen anderer zusammenbraut: Die Nichterneuerung des Vertrages.

Auch um das dunkle und feuchte Mietzimmer zu vergessen, wo sie, ihren Sohn im Arm, die Nächte schlaflos verbringt im vergeblichen Versuch, die Erinnerungen zu verscheuchen, die sie längst begraben möchte. Dies versucht sie diesen Sonntag in der 7. Strasse, in der ein überbordender Strom von sonntäglichen Passanten anschwillt: Büromenschen, Angestellte, Arbeitslose, Hausfrauen, verliebte Paare, Familien mit ihren Kindern – einige zu Fuss, andere auf dem Fahrrad. Wie sie möchten alle die Sonne und den Weihnachtsschmuck, das Lichtermeer und die verschwendete Energie bewundern und wenigstens für einen Augenblick die täglichen Ängste und Sorgen betäuben.

Ihren Sohn an der Hand geht sie von Norden nach Süden. Plötzlich sticht ihr etwas in die Augen. Weisse Stühle. Schwarze Kleider. Schwarze Schirme. Schwarze Schleier, die von Trauer sprechen. Weisse Kreuze auf schwarzen Schürzen. Weisse Ziegelsteine aufgestellt auf dem Asphalt. Schwarze Buchstaben auf weissen T-Shirts: ¡Nunca Más! – NIE MEHR!

Es ist eine historische Ecke, wo ihre Schritte zum Stillstand kommen. Im Süden liegt der Bolivarplatz. Wie oft haben Männer und Frauen, das Herz voller Hoffnungen, zwischen Fahnen und Schreien geglaubt, dass ihre Träume von Würde, Gerechtigkeit, Freiheit wahr würden? Wie oft haben Männer und Frauen in langen Reihen gebrochenen Herzens diesen Platz Schritt für Schritt durchschritten und ihre Toten verabschiedet? Wie viele Kundgebungen aller Arten und Schattierungen, wie viele Schreie nach Gerechtigkeit, wie viel Hoffnung, Schmerz und Wut hat dieser Platz gesehen?

Im Hintergrund das Casa del Florero (Haus des Blumenstrausses), Zeuge des „Schreis nach Unabhängigkeit“ der Kreolen gegen die Spanier, das im Laufe der Zeit zu einem Zentrum der Folter und des Verschwindenlassens wurde. Gegenüber der Justizpalast, dessen rauchende Ruinen vor 21 Jahren dem Strom von Blut Tür und Tor öffneten, in dem die Träume von Millionen von Männern und Frauen ertränkt wurden, die damals an eine mögliche neue, nahe scheinende Welt glaubten. Sie alle wurden von der sich bedroht fühlenden Macht erbarmungslos angegriffen. In einer Kombination von Verhandlungen, Friedensdiskursen, Verfassunggebender Versammlung, Blut, Tod, Raub, Horror, Vertreibung, Desinformation, Verwirrung, mit Friedenstauben, Reden über den sozialen Rechtsstaat, Terror, Aufsplitterung, Verzweiflung in Weilern und Stadtvierteln des ganzen Landes öffneten sie den Weg der Globalisierung, dem bilateralen Freihandelsabkommen mit den USA (TLC) und den übrigen multinationalen Gesellschaften. Und gleichzeitig versuchten sie jede Form sozialer Organisation wegzufegen.


Fragen, die Mauern aufreissen

Der Grundinstinkt ist vorbei zu gehen, ohne zu schauen. Es sind fast immer Kinder, die fragen: „Was ist das?“, und die Erwachsenen an der Hand zu den Stühlen ziehen. Und es sind meist die Kinder, die – fast immer mit lauter Stimme – die schwarzen Buchstaben auf den weissen Ziegelsteinen lesen. Und meist folgt ihrer Lektüre die Frage: „Warum?“ Auf allen Ziegelsteinen stehen Namen, Daten und Todesformen, die es nicht geben dürfte. „Warum?“, fragt auch sie sich.

Sie geht weiter. Strasse um Strasse. Ziegelsteine und noch mehr Ziegelsteine mit Namen und Daten. „Es sind von der Guerilla ermordete Militärs“, sagt jemand an ihrer Seite. Doch plötzlich liest sie auf einem Ziegelstein: Jaime Pardo Leal, ermordet. Und weiter auf einem anderen: Luz Mary Portela, aus dem Justizpalast verschwunden; auf einem weiteren: Luis Carlos Galán, ermordet. Sie zweifelt. Auf ihrem Gesicht zeigt sich ein Hauch von Bestürzung und im Weitergehen, immer mehr Strassen hinter sich lassend, wächst der Wunsch nachzufragen.

Als sie an die 26. Strasse kommt, entscheidet sie sich. Schwarz und jung ist das Gesicht der Frau, die mit sanfter und klarer Stimme antwortet: „Mein Vater wurde von Paramilitärs verschleppt und ermordet. Mein Bruder wurde gezwungen, in ihren Reihen zu kämpfen und starb durch einen Schuss in einem Gefecht. Meine Mutter starb aus Trauer und Schmerz zwischen schwarzen Plastikplanen in dieser kalten und fremden Stadt. Darum bin ich hier. Denn ich möchte, das dies NIE MEHR jemandem zustösst. Denn ich möchte, dass es NIE MEHR Männer und Frauen gibt, die ermordet, gefoltert, zum Verschwinden gebracht, entführt, vergewaltigt, von ihrem Land vertrieben werden. NIE MEHR sollen würdige Menschen zu Bettlern gemacht werden.“
„Ich möchte, dass sich die Jungen NIE MEHR verstecken müssen, um nicht gezwungen zu werden, zu schiessen statt zu pflanzen, zu töten oder sich töten zu lassen. Darum bin ich hier. Auf diesem Stuhl. Neben diesen Ziegelsteinen, die gewaltsam entrissenes Leben bedeuten. Ich unterdrücke meine Tränen, aber ich kann meine Gedanken nicht aufhalten, die sich wie in einer Mühle drehen, mit meiner Trauer spielen und mich vom Himmel in die Hölle zu stürzen drohen.“

„Hölle, wenn ein gefühlloses Gesicht mich daran erinnert, dass nebst Land und Ressourcen auch der Geist und das Herz Schlachtfelder sind. Dass Nachrichten, Werbeslogans, Fernsehserien zusammen mit Kugeln, Gewehren und Motorsägen Teil des Arsenals sind, das uns unserer selbst berauben und mittels Manipulation und wissenschaftlich ausgearbeiteten Lügen zu verängstigten, unterwürfigen und unsensiblen Komplizen machen soll.“

„Himmel aber, wenn jemand wie Sie ihre Angst überwindet und zu fragen wagt. Himmel, wenn Ihre Augen und die Augen Ihres Sohnes sich mit Tränen füllen, wenn Sie meine, unsere Geschichte hören. Himmel, wenn ich – um ein wenig auszuruhen – den Stuhl verlasse und von meinem Platz aus die unendliche Reihe von Frauen, Stühlen und Ziegelsteinen sehe und davor unzählige gebeugte Köpfe, die die Inschriften auf den Steinen lesen und sich mit Fragen füllen.“

Sie weiss nicht, was sie sagen soll. Das „Danke“, das sie über ihre zitternden Lippen bringt, tönt schüchtern. Mit den Stunden verändert sich die Umgebung. Der Passantenstrom fliesst weiter. Auch am Nachmittag ziehen die Stühle und Ziegelsteine Blicke und Schritte an. Gegen zwei Uhr entscheidet sie sich, heim zu gehen. Aus der Ferne schaut sie zurück. Eine unendliche Reihe von Ziegelsteinen bleibt. Und ihr gegenüber – schweigend – Frauen, Männer, Kinder, Jugendliche und Betagte in Fragen versunken...

Gegen vier Uhr nachmittags kommt sie zum Bolivarplatz. „Wir möchten leben, wir möchten produzieren, wir möchten essen“, sagt eine betagte Indígena, deren Stimme vom Wind weggetragen wird. In ihrer indigenen Sprache ruft sie die Götter an. Sie bittet sie um Kraft und Klugheit, um die tödliche Lawine aufzuhalten, die Land, Frauen und Männer auslöscht. Der Abend legt sich über die Hügel.

Indígenas, Bauern und Bäuerinnen, Frauen und Männer in weissen T-Shirts mit den schwarzen Buchstaben Nunca Más – NIE MEHR, zirkulieren auf dem Bolivarplatz und seiner Umgebung im Kreis. Sie begleiten klatschend den langsamen Rhythmus von Flöten und den Schritt der blossen Füsse an der Schlusszeremonie dieses Tages, der Risse in die Mauer der Straflosigkeit, der Desinformation, der Gleichgültigkeit und der Angst schlagen will.

Inmitten der Frauen und Männer mit den weissen T-Shirts kommen und gehen grün gekleidete Männer und Frauen mit Waffen am Gurt, Funkgerät und Mobiltelefon. Wie viele Namen der Menschen in Weiss werden auf einem Ziegelstein stehen, mit einem Datum, einem Ort und einer Todesart, die es nicht geben dürfte? Diese Frage steigt auf, wenn man das Polizistenpaar beobachtet, das mit seinem Mobiltelefon Fotos von lächelnden Gesichtern und Blicken macht und Lieder aufzeichnet.

Sie sieht sie nicht. „Am nächsten Sonntag schauen wir uns die Weihnachtsbeleuchtung an“, verspricht sie ihrem Sohn, als sie vom Bolivarplatz weggehen. Ihre Finger durchwühlen in der Tasche die Flugblätter, die sie eingesammelt hat und in denen sich vielleicht eine Adresse und der notwendige Mut findet, um jemandem ihre Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte, die sie nachts als Albtraum überfällt. Diese Geschichte, die den Sohn zum Halbwaisen und sie zur Flüchtlingsfrau gemacht haben, die ihre Angst in der Menge versteckt.



[aus: Kolumbien-aktuell, No. 444, 24. Januar 2007 -- Übersetzung aus dem kolumbianischen Spanisch: Bruno Rütsche, von mir leicht redigiert]

Wednesday, 24 January 2007

Glencore/Xstrata Kolumbien: Die Gewerkschaft SINTRACARBON ersucht um dringende Unterstützung

Liebe Leute
Soeben habe ich folgenden Aufruf erhalten:


"Liebe KolumbienfreundInnen
Die Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag in der Kohlenmine El Cerrejón, die zu einem Drittel dem Schweizer Bergbaukonzern Xstrata aus Zug gehört, scheinen vor dem definitiven Scheitern zu stehen. Im Anhang findet ihr ein Up-Date zur aktuellen Lage sowie einen Musterbrief mit deutscher Kurzübersetzung. Ich bitte euch, den Brief wenn möglich noch heute an die angegebenen Adressen zu mailen oder faxen. Ihr müsst nur noch oben den Ort und unten euren Namen/Institution eintragen.
Vielen Dank für eure Unterstützung, auch im Namen der Gewerkschaft und der Gemeinschaften

Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien

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Musterbrief auf spanisch (deutsche Kurzfassung am Schluss, gefolgt von aktualisierter Lagebeschreibung):


AbsenderIn, Ort, 23 de enero de 2007

Señor León Teicher
Carbones del Cerrejón LLC
leon.teicher@cerrejoncoal.com


Estimado señor Teicher

Me dirijo a usted para expresar mi preocupación por la situación de los miembros del Sindicato SINTRACARBON y los trabajadores de la Mina El Cerrejón, asó como de las comunidades afectadas por la mina como lo son los desplazados de Tabaco y Manantial y las comunidades de Tamaquita, Roche, Patilla y Los Remedios.

Conozco de la situación de aislamiento, contaminación y destrucción del territorio de los habitantes de las mencionadas comunidades así como de las dificiles condiciones de trabajo en la mina. He sido informado del avance lento de las negociaciones entre la Comisión negociadora de Carbones del Cerrejón LLC y SINTRACARBON sobre el pliego de peticiones para una nueva convención colectiva.

Me preocupa enormemente que en más de treinta días de negociaciones no se haya llegado a ningún acuerdo sobre el pliego de peticiones presentado por SINTRACARBON. SINTRACARBON me ha informado de la posición bastante cerrada que ha mostrado la empresa durante la negociación y de la falta de voluntad para llegar a acuerdos. Estoy muy consciente de la dificil situación económica de los trabajadores ante el continuo aumento de gastos para salud, educación de los hijos etc., y que la frecuente iliquidez de las familias trabajadoras ha llevado a más de una familia a situaciones emocionales difíciles. Igualmente estoy muy preocupado por la negativa de la empresa de discutir puntos importantes del petitorio como la suerte de los trabajadores contratistas y la solicitud de las comunidades aledañas afectadas por la mina de poder realizar negociaciones colectivas sobre su reubicación integral y recompensas justas.

He sido informado que la semana pasada los afiliados del Sindicato han votado masivamente por la huelga que debería iniciarse de aquí al final del mes de enero de este año. Reconozco la decisión del Sindicato de recurrir a la huelga como mecanismo de presión legal para buscar una solución satisfactoria a su petitorio. Pero a la vez estoy muy preocupado, ya que la huelga puede aumentar los riesgos para los directivos sindicales. Conozco de la crítica situación de seguridad de los líderes sindicales y sociales de la región a raíz de amenazas de muerte proferidos por un grupo paramilitar denominado Las Aguilas Negras. Temo que la huelga pueda empeorar la dificil situación de seguridad de los directivos sindicales.

Por un breve momento parecía que una solución iba a ser posible, ya que el equipo negociador de la empresa había modificado su posición y accedió a abordar el día 22 de enero de 2007 el tema de las comunidades. Sin embargo, de nuevo recibí informaciones según las cuales las negociaciones una vez más no prosperaron ya que su empresa hubiera mostrado un actitud de intransigencia y total falta de voluntad para llegar a acuerdos. Es así que el sindicato SINTRACARBON se retiró de la mesa de negociación y que la huelga parece inevitable.

Sin embargo, le pido a usted y al equipo negociador de Carbones del Cerrejón hacer todo lo posible para llegar a un acuerdo con SINTRACARBON y las Comunidades afectadas por la mina. Respaldo claramente el pliego y la decisión de SINTRACARBON de acudir a la huelga y a las demandas de las Comunidades por negociaciones colectivas y recompensas justas. Además, le pido que haga todo lo posible para garantizar la seguridad de todos los trabajadores, de los líderes sindicales y de las comunidades, y que ante la declaración de la huelga se abstenga de recurrir a medidas de fuerza y de represión.

Confiando en su buena voluntad, mantengo la esperanza de que una solución amistosa sea todavía posible esta semana y que no sea necesario recurrir a la huelga que tendría efectos negativos para todo el mundo.

De su consideración

(Deine/Ihre Unterschrift)

Copias a:

• Señor Andrés Soto, Carbones del Cerrejón LLC, andres.soto@cerrejoncoal.com
• Señor Marc Gonsalves, Fax. +44 20 7968 2810, mgonsalves@xstrata.com
• Señora Claire Divver, cdivver@xstrata.com
• Señora Brigitte Mattenberger, Bahnhofstrasse 2, Postfach 102, 6301 Zug,
Fax: +41 41 726 60 89 bmattenberger@xstrata.com
• SINTRACARBON, jdeluquez@hotmail.com ; flozan1@yahoo.com; jquiroz11@gmail.com


****


Kurzübersetzung des oben stehenden Briefes:
(...)
Ich habe Kenntnis von der schwierigen Situation der Gewerkschaft SINTRACARBON, der Arbeiter der Kohlenmine El Cerrejón und der Bewohner der umliegenden Dörfer. Ich wurde über die Kollektivverhandlungen sehr genau informiert und bin über die erhaltenen Informationen beunruhigt:
Die Verhandlungen verliefen sehr schleppend, und das Unternehmen scheint wenig Interesse gezeigt zu haben, zu einer Einigung zu kommen. So habe sich die Firma geweigert, über gewisse Punkte des Forderungskataloges überhaupt zu verhandeln, so z.B. über die Krankenversicherung der Arbeiter, über die Situation der Temporärarbeiter sowie über das Schicksal der umliegenden afrokolumbianischen und indigenen Gemeinschaften. Diese Weigerung erfüllt mich mit Sorge.
Ebenso wurde ich darüber informiert, dass die Gewerkschaftsmitglieder massiv für den Streik stimmten, nachdem der Verhandlungsrahmen erfolglos ausgeschöpft worden war. Ich anerkenne die Entscheidung der Gewerkschaft, zum legalen Mittel des Streiks zu greifen, bin aber gleichzeitig über die Sicherheitslage der Gewerkschafter und Anwohner besorgt, da schon im Dezember verschiedene Todeslisten zirkulierten. Ebenso habe ich aber erfahren, dass der internationale Druck und der Streikbeschluss Wirkung gezeigt hatte und sich die Firma zum ersten Mal bereit erklärte, über die Anliegen der Gemeinschaften zu verhandeln.
Leider hat auch dieser neue Verhandlungsversuch zu keiner Einigung geführt; die Gewerkschaft denunzierte die Unnachgiebigkeit des Verhandlungsteams der Firma und verliess die Verhandlungen. Trotzdem gelange ich nochmals mit dem Aufruf an Sie, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um eine einvernehmliche Lösung zu ermöglichen und den Streik doch noch abzuwenden.
(...)
***


Aktualisierte Lagebeschreibung (23.1.07)

Die Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen bei Carbones del Cerrejón stehen vor dem endgültigen Scheitern, ein Streik scheint unausweichlich

In den vergangenen gut zwei Wochen wurde zwischen der Gewerkschaft SINTRACARBON und der Verhandlungsequipe des Unternehmens Carbones del Cerrejón LLC weiter verhandelt, ohne dass es zu einer Einigung gekommen wäre. Die Gewerkschaft hat angesichts der Unnachgiebigkeit und des mangelnden Verhandlungswillens des Unternehmens versucht, den Druck zu erhöhen.

So kam es am 11. Januar 2007 zu Protesten der Gewerkschaft SINTRACARBON in Riohacha, der Hauptstadt des Departaments Guajira, um gegen den mangelnden Verhandlungswillen der Minengesellschaft zu protestieren. SINTRACARBON wurde dabei vom Gewerkschaftsdachverband CUT Sektion Guajira und Bewohnern der Gemeinschaften der von der Mine betroffenen Dörfer Roche, Patilla, Provincial etc. und den Vertriebenen von Tabaco unterstützt. Auch in Barranquilla und anderen Orten kam es zu Protestaktionen.

Am 12. Januar 2007 führte SINTRACARBON auch eine grosse Pressekonferenz durch, an der sie den Verlauf der Verhandlungen erklärte und ihren Willen bekräftigte, notfalls einen Streik durchzuführen, wenn es nicht noch zu einer umfassenden Einigung komme.

Derweil wurde intensiv weiter verhandelt: Am 11. Januar wurde von SINTRACARBON ein Verhandlungsvorschlag der Firma diskutiert. Die Verhandlungen gingen am Nachmittag weiter, wobei die Gewerkschaft erneut Gegenvorschläge präsentierte. Am 12. Januar nachmittags erwartete die Gewerkschaft eine umfassende Antwort mit Vorschlägen der Firma, die jedoch nicht eintraf.

Obwohl es in gewissen Punkten zu einer Annäherung gekommen war (z.B. über Anzahl und Höhe der Darlehen an die Arbeiter, über Prämien für die Arbeiter etc.), blieben die Unterschiede in anderen Bereichen sehr gross oder weigerte sich das Unternehmen sogar, diese zu diskutieren. Nicht verhandelt wurde beispielsweise über die Gesundheitsversorgung der Arbeiter und über Stipendien für Universitätsstudium der Arbeiterkinder. Ebenso weigerte sich die Firma, über eine Verbesserung des Status der temporären Vertragsarbeiter und über die Situation der Gemeinschaften zu sprechen.

SINTRACARBON hält daran fest, dass diese Gemeinschaften ein Recht auf kollektive Verhandlungen und auf faire Entschädigungen haben.

Da die offizielle Verhandlungsfrist inklusive Verlängerung am 12. Januar endete, ohne dass eine Einigung erzielt worden wäre, führte die Gewerkschaft vom 15. bis 20. Januar 2007 an ihrer Basis eine Abstimmung über den Streik durch. Die grosse Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter stimmten für den Streik. Schliesslich einigten sich Gewerkschaft und Unternehmen, trotz abgelaufener Verhandlungsfrist weiter zu diskutieren. Im Vordergrund stand eine Lösung für einen Zweijahres–GAV anstatt des ursprünglich von SINTRACARBON angestrebten Dreijahresvertrages. Am 17. Januar wurden dazu von beiden Seiten neue Vorschläge unterbreitet, und am 18. Januar wurde intensiv über die folgenden Themen verhandelt: Löhne, Krankenversicherungen, Ausbildungszuschüsse, Transportzuschüsse, temporäre Vertragsarbeiten und Gemeinschaften. Wieder konnte jedoch kein Durchbruch erzielt werden.

Am 19. und 20. Januar gingen die Verhandlungen weiter, während je ein Vertreter der Gewerkschaft und der Gemeinschaften in Bogotá an einem Hearing im Senat zur Bergbauproblematik teilnahmen. Zudem kam es in Bogotá zu einem internationalen Treffen, an dem auch die ILO (Int. Labour Organisation) und Vertreter von Anglo American teilnahmen. Zudem wurde bei den Abstimmungen vom 15. bis zum 20. Januar mit überwältigender Mehrheit beschlossen, einen Streik durchzuführen. 98% der Gewerkschaftsmitglieder entschieden sich für den Streik, 76% der Stimmberechtigen nahmen an der Abstimmung teil. SINTRACARBON hat nun zehn Tage Zeit, um den Streikbeginn auszurufen. In dieser Zeit kann aber noch weiter verhandelt werden.

International haben die Gewerkschaft und die Gemeinschaften grosse Unterstützung aus den USA, Grossbritannien, Kanada und der Schweiz. All dies hat dazu geführt, dass das Unternehmen Carbones del Cerrejón seine Position vorübergehend etwas aufgeweicht hatte und bereit war, am Montag 22. Januar 2007 erstmals das Thema „Gemeinschaften“ zu diskutieren. Eder Arregoces sollte die Gemeinschaften in diesen Verhandlungen vertreten. Für kurze Zeit kam also Hoffnung auf, dass ein Durchbruch in den Verhandlungen doch noch möglich sei.

Am Abend des 22. Januar 2007 verkündete SINTRACARBON jedoch, dass die Firma einmal mehr keine Bereitschaft gezeigt habe, seriös zu verhandeln. SINTRACARBON hat sich daraufhin von der Verhandlung zurück gezogen; der beschlossene Streik scheint unausweichlich.

SINTRACARBON mobilisiert nun nochmals seine internationalen Unterstützungsnetze und versucht, mit verschiedenen Mobilisierungen und Briefaktionen doch noch eine Einigung zu erzielen.


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Danke herzlich für Deine/Ihre Unterstützung.

Wednesday, 17 January 2007

Zuger Firma unterstützt gnadenlosen Kohleabbau in Kolumbien

Der schweizerische Minenkonzern Xstrata Plc (vorher Glencore AG) besitzt einen Drittel vom kolumbianischen Konzern Carbones del Cerrejón im Departement Guajira, mit 69'000 Hektaren der weltweit grösste Kohlenpott im Tagbau. Der Kohleabbau hat aber seinen Preis: seit Beginn des Abbaus wurden immer wieder ganze Siedlungen von Afrokolumbianern und Indianern geräumt.

Siedlungen werden geräumt

Im August 2001 wurde das Dorf Tabaco gewaltsam geräumt, viele der Betroffenen sind traumatisiert und haben keine oder nur sehr geringe Entschädigungen für ihren gesamten Besitz erhalten. Weiteren Siedlungen droht ein ähnliches Schicksal: Sie müssen in den nächsten ein bis vier Jahren der Mine weichen. Den BewohnerInnen wird schon heute der Zugang zu ihrem Land durch Strassensperren verunmöglicht, die Stromversorgung wird häufig unterbrochen, und Arbeit ist rar. Hinzu kommen gesundheitliche Beschwerden wie Hautausschläge und Atemwegserkrankungen.

Massaker ungeklärt

Immer noch ungeklärt sind die Hintergründe des schweren Massakers an Wayúu–Indianern vom 18. April 2004 in Bahía Portete, bei dem 13 Frauen und Kinder von Paramilitärs brutal ermordet wurden. Es wird geschätzt, dass daraufhin zwischen 1000 und 3000 Wayúu-Indianer nach Venezuela flüchteten. Bahía Portete liegt in unmittelbarer Nähe des Hafens Puerto Bolívar, wo die Kohle verschifft wird, und es bestehen Pläne, in Bahía Portete einen Kohlehafen zu bauen. Verschiedene NGO sehen einen klaren Bezug zwischen dem Massaker und den Hafenplänen.

Zwischen dem 17. und 25. Januar 2007 werden zwei Betroffene aus Kolumbien in der Schweiz Vorträge zum Kohleabbau in der Guajíra halten. Organisiert wird diese Vortragsreihe von der Arbeitsgruppe Schweiz - Kolumbien.

Mehr unter --> http://www.askonline.ch

Monday, 8 January 2007

Buenaventura: Eine vom Schweigen belagerte Stadt

Kolumbien – Monatsbericht

Januar 2007 No. 1/2007



Buenaventura: Eine vom Schweigen belagerte Stadt



Von Bruno Rütsche



Buenaventura ist die wichtigste kolumbianische Hafenstadt am Pazifik. Ein enormer Reichtum fliesst durch den Hafen. Durch die Stadt selbst zieht sich aber eine Spur des Elendes, der Gewalt und der Korruption. Angesichts der Schutzlosigkeit der Bevölkerung gegenüber den Bewaffneten – Paramilitärs, Armee und Guerilla – wagt kaum jemand das Schweigen zu brechen und die unzähligen Verbrechen anzuklagen.



Ein verzweifelter Aufruf...


„Gestern, als ich in der Sonntagsmesse das Evangelium zu lesen begann, bemerkten wir rasche Bewegungen auf der Strasse. Wir schlossen die Türe und hörten Schüsse aus Maschinenpistolen. Einige Schüsse drangen durch die Gitter in die Kirche ein. Wir warfen uns alle zu Boden und krochen zum Pfarrhaus... Etwa eine Stunde später verliessen die Gläubigen das Pfarrhaus und getrauten sich auf die menschenleeren Strassen. Es war ein Gefecht zwischen Guerilla und der Polizei.

Am darauf folgenden Samstag verletzten die Paramilitärs nach der Messe drei Passanten. Zwei davon sollen gestorben sein, der dritte, ein geistig Behinderter mit dem Spitznamen ‚Der Denker’, hat bis jetzt die Operationen überlebt.

Und vor acht Tagen, als die MalerInnen von San Cipriano ein wunderschönes Wandgemälde malten, wobei viele Kinder ihnen zuschauten, wurden auf einer Seite der Kirche zwei Männer getötet, welche seit dem Morgen bewaffnet da waren und zusammen mit anderen tranken... Ich hatte eine halbe Stunde zuvor die Polizei angerufen, doch sie war nicht gekommen.

So ‚feiern’ wir den Advent. Heute gibt es keine Messe, die Kirche bleibt geschlossen, das Pfarreibüro verriegelt, denn man hat uns gewarnt und gesagt, dass diese Nacht das Morden weiter geht.... Alle Strassen des Stadtviertels Lleras sind verlassen und alle Häuser und Läden verschlossen...

Wir werden sehen, wie dies weiter geht. In diesen Vierteln sind beide Gruppen (Paramilitärs und Guerilla) präsent und das Meer hat Ebbe in diesem umstrittenen Gebiet, das sich derart für den Drogenhandel eignet.“ Dies sind die verzweifelten Worte des Priesters Ricardo Londoño, Pfarrer des Viertels Lleras.


...und Todesdrohungen gegen den Bischof


Am 26. Oktober 2006 besuchte Präsident Uribe Buenaventura und nahm dort an einem Sicherheitsrat teil. Der Besuch des Präsidenten begann mit einem Eklat: Er forderte Chipantiza, den Sekretär des Bürgermeisters von Buenaventura auf, den Saal zu verlassen und beschuldigte ihn, versucht zu haben, den Militärkommandanten zu bestechen und zur Rückgabe einer konfiszierten Drogenladung zu bewegen. Chipantiza wurde sofort verhaftet, wenig später aber aufgrund einer fehlenden Anklage aus der Haft entlassen. – Am gleichen Anlass klagte der Bischof von Buenaventura, Monseñor Héctor Epalza, die Korruption der Sicherheitskräfte und ihre Verbindungen mit dem Drogenhandel an. Er sagte damit öffentlich, was alle längst wissen. Wenige Tage später sah er sich aufgrund der Todesdrohungen gezwungen, die Stadt zu verlassen. Erstaunlicherweise führte dies auch in kirchlichen Kreisen zu keinen Protesten. Auch die Bischofskonferenz blieb still und machte sich damit zur schweigenden Komplizin. – Wenn selbst ein Bischof aufgrund einer Aussage flüchten muss, um sein Leben zu retten, was haben dann einfache BürgerInnen zu erwarten, die sich getrauen, Anklagen zu erheben?

Keine Zeit für die Flucht liessen die Mörder Deisi Ruth Calonge, die bei der lokalen Ombudsstelle zuständig für die Rechte der Familien war. Die Frau wurde in ihrem Büro am 11. September 2006 ermordet. Sie hatte sich geweigert, die Freilassung von drei Jugendlichen zu veranlassen, wie es eine bewaffnete Gruppe von ihr gefordert hatte.


Vom Reichtum des Hafens bleibt nichts in der Stadt


Durch den Hafen Buenaventuras fliesst 46% des Aussenhandels. Im Jahr 2005 wurden 11 Mio. Tonnen Güter im Überseehafen verladen. 1'600 Frachter löschten im gleichen Jahr ihre Fracht und wurden mit Exportgütern beladen. Selbst die 3'000 bis 4'000 Hafenarbeiter können kaum von ihrem Lohn leben und die Arbeitsbedingungen sind hart und gefährlich. Seit der Privatisierung des Hafens im Jahr 1994 sind 24 Arbeiter bei Unfällen oder aufgrund eines natürlichen Todes während der Arbeit gestorben und über 60 Arbeiter erlitten bleibende Behinderungen. Es kam in dieser Zeit zu mehr als 350 Arbeitsunfällen. Keine der betroffenen Familien erhielt eine Entschädigung. Am meisten verdienen die Kranführer mit Löhnen zwischen rund 500'000 – 800'000 Pesos (220 – 350 US$) in 14 Tagen, wobei allerdings wieder über 100'000 Pesos Abzüge kommen. Ihnen folgen die Träger mit rund 300'000 – 400'000 Pesos in 14 Tagen, welche mit purer Körperkraft die Fracht ein- und ausladen. Doch viele Arbeiter kommen nicht einmal auf 200'000 Pesos, womit sie unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimallohn bleiben.

Rund 2'000 Sattelschlepper befahren täglich die Strasse von Buenaventura nach Cali, beladen mit Gütern für den Export oder importierten Waren. Doch von diesem Reichtum ist nichts sichtbar in dieser feuchtheissen Stadt am Pazifik. Die Stadtviertel wuchern ohne jede Planung an den Rändern der Stadt in den Urwald hinein. Armselige Siedlungen, oft ohne fliessendes Wasser, Abwasserentsorgung und Strom. Bei einigen Invasionen haben die Paramilitärs ihre Hände im Spiel. Vor allem wenn es um Gebiete geht, welche an das Meer angrenzen. Rund 500'000 EinwohnerInnen zählt die Stadt nach offiziellen Angaben. Verlässliche Quellen geben zu bedenken, dass rund ein Fünftel der BewohnerInnen bei der Volkszählung gar nicht erfasst wurde. Auf 10'000 EinwohnerInnen kommen zwei Ärzte; ein Fünftel der BewohnerInnen sind Analphabeten und die Lebenserwartung in der Stadt beträgt ganze 51 Jahre.

Rund 60% der arbeitsfähigen Bevölkerung ist arbeitslos. Da ist die Versuchung gross, sich im Drogenhandel etwas zu verdienen. 300'000 Pesos (rund 130 US$) werden für den Transport von chemischen Substanzen angeboten, die zur Herstellung von Kokain benötigt werden. Eine Million Pesos (rund 438 US$) gibt es für den Transport von Kokain auf die im Hafen ankernden Schiffe und 20 Mio. Pesos (rund 8753 US$) für die Fahrt in Schnellbooten nach Mexiko und Guatemala, den wichtigsten Bestimmungsorten des Kokains. „Die Jungen verkaufen ihr Herz für ein paar Pesos an die Drogen. Das Traurigste daran ist, dass sie dabei nicht einmal reich werden. Sie sind nur das Glied in dieser Drogenkette, welches am meisten riskiert – das Leben – und am wenigsten verdient“, klagt eine Mutter, deren Sohn vor einem halben Jahr getötet wurde.[i]


Der Kampf um die Kontrolle der Stadt: Ein Genozid


Nach Aussagen von sozialen Organisationen sind seit 1998 über 4'000 Menschen in Buenaventura ermordet worden. 1998 hatte ein Zivilstreik den Hafen fünf Tage lang lahm gelegt. Der Streik richtete sich gegen die unhaltbare soziale Situation der Stadt und die hohe Verschuldung. Ein mit der Regierung vereinbartes Abkommen sah u.a. die Schaffung von Arbeitsplätzen und Schulen und die Verbesserung der Infrastruktur vor. Bitter vermerkt eine soziale Führungsperson: „Wäre das mit der Regierung ausgehandelte und von ihr unterzeichnete Abkommen wirklich umgesetzt worden, sähe unsere Stadt heute anders aus und wir stünden nicht diesen Problemen gegenüber.“ Wie üblich blieb auch dieses Abkommen uneingelöst.

Dafür verstärkte sich der Einfluss der bewaffneten Akteure auf die Stadt, Paramilitärs im Verbund mit der Armee auf der einen Seite und Guerilla auf der anderen. Dies nicht zuletzt, weil der Hafen durch die Öffnung gegenüber dem Pazifikraum (China, Japan) an Bedeutung gewann und immer klarer wurde, welche Rohstoffe die Pazifikküste selber barg. Dann aber ging es auch um die Kontrolle der Drogenrouten. Und wo Drogen gehandelt werden, ist auch der Waffenhandel nicht fern. Buenaventura mit den vielarmigen, schwer kontrollierbaren Buchten und dem wichtigen Überseehafen spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Die Stadt wurde militarisiert. Auch heute ist in Buenaventura die Präsenz der Sicherheitskräfte unübersehbar. Zu mehr Sicherheit hat dies nicht geführt. Im Gegenteil, die Zahl der Morde hat dramatisch zugenommen. Der Bloque Calima der Paramilitärs setzte sich in der Stadt fest und übernahm immer mehr die Kontrolle über die Stadtviertel und die Zugänge zum Meer. Aber auch die 30. Front der FARC war mit Milizionären in der Stadt präsent und wollte ihren Einfluss nicht preis geben. Armee und Sicherheitskräfte, Paramilitärs und Guerilla machten sich die Kontrolle der Drogenausfuhr – und der Waffeneinfuhr – strittig. Alle bewaffneten Akteure wollten die Stadtviertel und den Zugang zum Meer kontrollieren und Jugendliche rekrutieren. Aufgrund der desolaten sozialen Situation und dem Fehlen jeglicher Perspektive hatte diese Verlockung – wie auch die Versuchung des „leichten Geldes“ durch den Drogenhandel – eine gewisse Macht.

Auch nach der vermeintlichen Demobilisierung des Bloque Calima ist die Präsenz der Paramilitärs weiterhin allgegenwärtig, wenn auch diskreter. „Die Demobilisierung ist blanker Hohn“, wird oft versichert. Die Nähe von Paramilitärs und Sicherheitskräften ist vielfach belegt und im Alltag offensichtlich. Heute üben die Paramilitärs eine soziale, politische und wirtschaftliche Kontrolle aus, die weit über den Drogenhandel hinaus geht. So erheben sie auf die Markstände Steuern. Und die Mordrate ist keineswegs kleiner geworden.

Längst nicht alle, die in diesem schmutzigen Krieg fallen, haben etwas mit den bewaffneten Akteuren oder Drogen zu tun. Besonders schmerzlich zeigte dies das Massaker an 12 Jugendlichen und dem Verschwindenlassen von weiteren zwölf am 19. April 2005. Ein Mann fuhr auf einem Motorrad vor und lud 24 Jugendliche zu einem Fussballspiel ein. Der Gewinnermannschaft wurden 200'000 Pesos in Aussicht gestellt. Zwei Tage später wurden 12 Jugendliche – alle zwischen 15 und 22 Jahre alt – gefesselt, gefoltert, mit Säure verätzt und durch einen Schuss in den Nacken getötet in einer Bucht im Viertel El Triunfo aufgefunden. Von den anderen 12 Jugendlichen fehlte – und fehlt bis heute – jede Spur. Keiner der Jugendlichen hatte etwas mit den bewaffneten Akteuren oder mit Drogen zu tun. Im Gegenteil: Einige der Jugendlichen waren in sozialen Organisationen aktiv und hatten zwei Wochen vorher an einem Protestmarsch des Viertels teilgenommen, wo der Bau einer Fussgängerbrücke gefordert worden war. Vier der ermordeten Jugendlichen waren zudem Neffen eines bekannten sozialen Führers aus dem Fluss Yurumanguí, dessen Familie systematisch bedroht und ermordet wurde. Aufgrund der völligen Straflosigkeit und der Untätigkeit der kolumbianischen Behörden wurde der Fall der Interamerikanischen Menschenrechtskommission unterbreitet und um Schutzmassnahmen nachgesucht.

Das abscheuliche Massaker führte zu einem Aufschrei in der Stadt. Doch seither gehen die selektiven Morde und Massaker weiter. Nach offiziellen Angaben sind zwischen 2000 und 2005 insgesamt 2644 Personen ermordet worden. Allein im Jahr 2006 wurden bis zum 11. November 305 Morde registriert. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiss niemand. (Eine andere Quelle verzeichnet 435 Morde.) Und auch über die Zahl der Verschwundenen schweigen sich alle aus. Sie ist hoch, sehr hoch, aber niemand wagt sie auch nur zu schätzen. „Die Angst hat diese Stadt fest in ihrem Griff. Und die Angst macht, dass alle schweigen.“ Dies sagen viele. „Hier kannst du niemandem trauen. Wie kannst du eine Anzeige bei der Polizei machen, wenn du weisst, dass die Polizei selber den Paras mitteilt, wer die Anzeige eingereicht hat?“ gibt eine Frau zu bedenken. Es wird von entlegenen Buchten geredet, wo Verschwundene an den Bäumen aufgehängt werden, den Geiern zum Frass. Der Zugang zu diesen Orten werde von den Sicherheitskräften verwehrt. Auch seien Buchten bekannt, wo Tote ins Meer geworfen würden.

Einen neuen, bisher unvorstellbaren Höhepunkt erreichte die Gewalt im September 2006, als auf einen Beerdigungszug geschossen wurde. Fünf Personen starben, weitere wurden verletzt. Für die Menschen in Buenaventura war dies ein Schock, von dem sie sich kaum erholen konnten. Der Respekt vor der Trauer und der Solidarität der Familie mit dem Toten ist den Schwarzen heilig. Dies nicht mehr zu respektieren, wird als Angriff der Bewaffneten auf ihre Identität verstanden.

Die Bevölkerung ist dieser Situation schutzlos ausgeliefert. Auch die Presse wird zum Schweigen gebracht. Der Journalist William Soto Cheng wurde ermordet. Andere mussten die Stadt aufgrund der Drohungen verlassen – so wie Tausende von Vertriebenen, die aufgrund der Gewalt die Stadt und deren Umgebung verlassen mussten.

Buenaventura ist heute wohl eine der Städte Kolumbiens – und der Welt – mit der höchsten Gewaltrate, vielleicht vergleichbar mit Medellin Ende der 80er und anfangs der 90er Jahre. Allerdings mit dem grossen Unterschied, dass sich das Drama in Buenaventura unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit abspielt. Es ist kein Thema in der kolumbianischen noch internationalen Presse. Die Angst und das Schweigen halten die Stadt in ihren tödlichen Klauen. Wer dagegen verstösst, lebt gefährlich.


Buenaventura zeigt die Fratze der Globalisierung: Der Kampf um die Kontrolle eines wichtigen Hafens und von Handelsrouten wird auf dem Buckel unbeteiligter Zivilpersonen. Vom Reichtum, der durch diesen Hafen fliesst, bleibt in der Stadt nur die Spur von Elend, Gewalt, mafiöser Strukturen und Korruption.



[i] Der Bericht beruht auf Gesprächen bei meinem Besuch im Oktober 2006 in Buenaventura. Ebenso dienten als Quellen Berichte der Comisión Intercongregacional Justicia y Paz; des Proceso de Comunidades Negras PCN, El Espectador, 10. Sept. 06; El Tiempo, 8. Nov. 06 ; Revista Semana ; Diario Las Américas, 13. Nov. 06; Semanario Virtual de Viva la Ciudadania


Bruno Rütsche
ask Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
Fachstelle Frieden und Menschenrechte
www.askonline.ch